Im Spiegel (2)

Bei Jorge Luis Borges, dem großen argentinischen Schriftsteller, geht es viel um Spiegel. Menschen erfahren sich selbst in dem anderen, den sie leidenschaftlich hassen; Menschen wenden sich plötzlich der Seite zu, die sie immer bekämpft haben. Der Schatten in uns, von dem Jung sprach, ist unser dunkles Ich, unser getrübter Spiegel, wir jetzt sind nur eine Version unseres wahren Ich.

In der Erzählung Die Theologen erwähnt Borges die Histrioniker, die auch cainites oder abismales genannt wurden oder sogar especulares, weil sie Christi Kreuz durch einen Spiegel ersetzten. Sagte nicht der drei Mal große Hermes, wie oben, so unten? Die andere Welt ist nur eine andere Version der unseren (unteren) Welt. Die Kabbalisten waren der Ansicht, dass wir der Gottheit ebenso helfen wie diese uns. Es fließt ein Strom von Energie von uns nach »oben«.

Und der Feind ist ein Teil von uns, unsere Wut auf ihn macht das offenbar. Aureliano in den Theologen bekämpft Juan de Panonia, der endlich auf dem Scheiterhaufen stirbt, und Aureliano erkennt in seinem Gesicht das eigene und stirbt später bei einem Brand in Rom: ähnlich wie Juan. Der langobardische Krieger Droctulft schlägt sich in Ravenna  auf die Seite der Römer und verteidigt die Stadt gegen seine früheren Genossen und stirbt dabei. Tadeo Isidoro Cruz zieht mit einer Truppe gegen den Deserteur Martin Fierro und hilft diesem.

Ritterschlacht: Konrad Federl rastet aus

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Der wichtigste Augenblick ist der, in dem ein Mann oder Mensch erkennt, wer er ist. Paulus mag das erkannt haben, denn er bekämpfte die Christen und wurde bekehrt. Zwei Seiten einer Medaille; er ist ich, in einem anderen Spiegel gesehen. Ich hatte an zwei wichtigen Arbeitsstellen immer jemanden, der mich blockieren oder vernichten wollte. Doch dieser andere hatte auch eine seltsame Zuneigung zu mir gefasst – und bekriegte mich dennoch. Ich war eine Seite von ihnen, und sie projizierten sich auf mich.

stierkampf

 

Es wude sogar gesagt, Hitler habe insgeheim die Juden bewundert und gefürchtet wegen ihres Geheimwissens. Auch eine jüdische Großmutter soll er gehabt haben. In den barbarischen Feldzügen gegen Ureinwohner – Aboriginies, amerikanische Indianer, mexikanische Inkas – zogen die Aggressoren gegen ihre eigenen dunklen Strömungen los, die sie nicht wahrhaben wollten. Immer kämpft man gegen eine Seite im eigenen Ich, die einem nicht gefällt.

Jede Aggression ist im Grunde Aggression gegen sich selbst. Hass gegen Ausländer als Abwehr des Fremden, Unbekannten in der Welt. Der Polizist verfolgt die Verbrecher, könnte aber, hätte er ein paar Entscheidungen anders gefällt, genauso zum Verbrecher geworden sein. Er schlüpft als Profiler in die Haut des Kriminellen, aber auch in die Haut des Opfers. Die Polizistin ist nur eine Spielfigur.

Wie sagt Paramahansa Yogananda? Wenn dich jemand nervt, arbeite an dir. Er löst etwas in dir aus, was du nicht verarbeitet hast. Du sollst ihn lieben. Dir fehlt die Distanz, die Toleranz. Wir sind vertauschbar. Wunderschön, wie in den Traumreisenden erklärt wird, dass manche Aborigine-Stämme bei einem heftigen Streit die beiden Kontrahenten anweisen, ihren Standort zu wechseln: Der eine soll den Platz des anderen einnehmen. Und dann weiterstreiten, wenn es noch geht.

 

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