Die Schleier vor der Welt

Wie kann diese Welt besser und friedlicher werden? Die Technik hilft, aber der gedankliche Hintergrund unseres Lebens ist unverstanden. Ich hatte da einen Einfall und wollte sehen, wohin er mich führen würde, und tatsächlich kam ich zu einem Ergebnis, das man sieht (oder nicht).

Mexico 041Ich dachte an Istanbul, das sich über 100 Kilometer in Ost-West-Richtung erstreckt. Mit dem Rad braucht man einen Tag, um hindurchzukommen. Auch Mexiko-Stadt, Mumbai, Chicago und Los Angeles sind solche Kolosse, ein Häusermeer, das eben Istanbul oder Chicago genannt wird. Dann gibt es eine Lücke, und es ist nicht mehr Istanbul, sondern ein anderer Ort. (Rechts: Mexiko-Stadt, Foto: G. Braghetti)

So ist das eben definiert. Wir legen unsere Welt mit der Sprache fest. Den Orient gibt es eigentlich nicht, Edward Said hat es uns erklärt, es ist ein Konzept aus dem 18. Jahrhundert. Eine Oberschwäbische Dichterschule hat es auch nie gegeben – eine später erfundene Zusammenfasung von ein paar Dichtern, die zufällig zur selben Zeit in einer Region Gedichte verfassten. Und so unterhalten wir uns mittels Abstrakta, die jedem etwas Anderes bedeuten und die manchmal nur in der Fantasie existieren.

48 Mpr1563 floating womenTrenne etwas ab aus dieser Welt, und du wirst den abgespaltenen Teil wahrnehmen. Die Sprache prägt unsere Wahrnehmung, sie ist ein Schleier vor der wirklichen Welt, und genauso schieben sich vor diese die Bilder. Gibt es in Beziehungen nur Kontakt zwischen zwei Bildern, die sich jeder vom anderen gemacht hat? So fragt Jiddu Krishnamurti. »Eine Beziehung zu einem Anderen ist nur möglich, wenn es kein Bild gibt.« Nur wenn die Erzeugung von Bildern aufhöre, werde der Konflikt enden, werde es ein endgültiges Ende der Konflikte geben. (Links: Floating Women, Rolf Hannes) Denn:

Wenn wir unser Leben betrachten und unsere Beziehungen beobachten, sehen wir, dass ihr eigentlicher Inhalt ist, Widerstand gegeneinander aufzubauen, eine Mauer, über die wir schauen und einander beobachten. … Und solange wir in Isolation hinter einer Mauer leben, haben wir keine Beziehung zueinander. Wir leben eingekapselt, weil es viel befriedigender ist, wir halten es für viel sicherer. … Solange Sie eine Grenze haben, sei sie nun national, wirtschaftlich, religiös oder sozial, ist es eine offensichtliche Tatsache, dass es keinen Frieden auf der Welt geben kann.

Was tun? Vollständige Aufmerksamkeit ohne Aufzeichnungen, meint Krishnamurti. Sich nicht auf das verlassen, was wir kennen, jedem Menschen jeden Tag eine neue Chance geben, alles Vorhergehende vergessen; beobachten, ohne zu urteilen (ein Gebot der Aborigines). Keine Mauern, Schranken, Grenzen; keine Bilder, keine Erklärungen.

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