Leben und die Cloud

Alles speichern in der Cloud. Wollte bei gmx wie gewohnt etwas speichern, dann gab es die Kategorie nicht mehr, und sie hieß: cloud. Unsere Krankenakten auf dem Chip. Der Verlauf meiner Internet-Sitzung: registriert. Digitale Archive, neue Museen. Diese Gesellschaft will alles bunkern und selbst das Vergangene einmachen wie Marmelade in Weck-Gläser.  Sie will haben haben haben. Krishnamurti fragte: Soll man speichern? Muss man speichern?

Ich habe einen Beitrag über Die Wolken zu bieten.Brecht schreibt in der Erinnerung an die Marie A.:

Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

Wolken sind ungeheuer beweglich. Sie lösen sich auf und ballen sich zusammen, es grollt in ihnen und es regnet aus ihnen. Manchmal entschwinden sie, lösen sich auf. Der Himmel weiß, weshalb Computermenschen gerade die Wolke auswählten, um ihren Klienten etwas ungeheuer Sicheres vorzuspiegeln. Die Wolke ist das Unsicherste, was man sich vorstellen kann. Doch der zerstreute Mensch von heute sieht nur etwas, das weiß und ungeheuer oben ist. Etwas, das oben ist. Der religiöse Gedanke, der damit verbunden ist, darf sich gern einstellen. Gott sieht alles. Gott ist die Große Datenbank, Gott ist die Googles aller Universen. Wir wollen auch ein klein wenig Gott spielen dürfen.

Krishnamurti fragt unter dem Punkt »Aufmerksamkeit«:

Ist es also möglich, frei zu sein und überhaupt nichts auf der seelischen Ebene aufzuzeichnen? Das ist nur möglich, wenn es vollständige Aufmerksamkeit gibt. Wenn umfassende wache Bewusstheit besteht, gibt es keine Aufzeichnungen. … Können wir ohne den ganzen Prozess und ohne die Maschinerie des funktionierenden Gedächtnisses beobachten, schauen?

Das sind Fragen. Krishnamurti will, dass wir Allem neu gegenübertreten, dass Menschen jeden Tag die Chance haben, in unseren Augen neu zu sein. Dass wir nicht neue Erfahrungen durch den Filter von Vorannahmen und Vorurteilen und Erwartungen laufen lassen. Das ist schwer. Vollständige Aufmerksamkeit, alles an sich vorbeilaufen lassen, nur das Wichtigste registrieren, nicht stets begleitet sein vom Geplapper des eigenen Geistes, der keine Ruhe gibt; beobachten, ohne zu urteilen.

DSCN2931

Ist es wirklich möglich, überhaupt nichts zu speichern? Wenn das Gehirn ständig alles aufzeichnet, was passiert, dann ist es nie frei und bereit, still zu sein … Dieses Sich-Erinnern und Aufzeichnen geht die ganze Zeit vonstatten. Wir fragen uns, ob es möglich ist, nicht alle Dinge zu speichern, sondern nur das aufzuzeichnen, was absolut notwendig ist.

Unsere Erinnerungen sind unser Wesen. Weil diese Gesellschaft alles haben will, ist für sie Demenz ein solcher Horror. De-mentia: ohne Geist. Menschen mit Demenz (wie meine Mutter) haben das meiste von früher vergessen. Geht auch ohne. Sie leben dennoch, und oft auch fröhlich. »Wo muss ich jetzt hin?« fragt meine Mutter vor dem Weg zum Abendessen, den sie schon 300 Mal gegangen ist. Alles neu. Das zählt, was sie vor der Nase haben. Die Emotionen.

kirner2

Ein bißchen könnten wir auch so leben. Was vorbei ist, ist vorbei. Wenn du weißt, wer du bist, wo du bist und welchen Tag wir schreiben, ist ja alles in Ordnung. Schau umher! Ist es nicht ein Wunder? Du bist hier, du darfst Erfahrungen machen, der Wind berührt deine Haut, die Sonne erwärmt sie, dein Gehirn ist still. Du bist in der Mitte des Universums. Das genügt.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.