Weiße Limousinen

Wenn ich an einem stillen Abend meine Dorfstraße mit dem Fahrrad vom Anfang bis zum Ende befahre, komme ich an fünf oder sechs stattlichen Limousinen vorbei, die weiß sind und geradezu obszön sauber. Perfekt, piekfein. So fährt der Bürger heute – in Weiß. Eine Erfindung der Automobilindustrie, die ich nicht billige.

Was man über die Farbe Weiß wissen muss, steht in meinem Beitrag Sechs Farben: weiß aus der Frühzeit von manipogo. Was man über das Auto wissen muss, steht in Die Stadt des Automobils, und im Bild treten auf der berühmte Mercedes SLK und der Mercedes-Roadster von 1953. Der SLK war früher ein heiliges Ungetüm, würde deute auf den Straßen aber nicht mal groß auffallen.

Viele fahren heute groß, und viele fahren weiß. War früher das Privileg der Individualisten, der Dandies, der Intellektuellen. Heute darf sich jeder in einer blütenweißen Limousine zeigen, der das Geld hat, sie sich zu kaufen.

Mein Vater und Münemanns Ferrari in München (1959)

Mein Vater und Münemanns Ferrari in München (1959)

Ich meine, nur edle, spirituell fortgeschrittene Menschen dürften solch ein Gefährt bewegen. Denn dieses Weiß hat Bedeutung. Zum Glück wissen die meisten Menschen nicht, dass (seit der Alchemie) das Rot die Endstufe ist. Die Unschuld oder Reinheit ist nur ein Übergang vom Schwarz (nigredo) zum Rot. Ich trage gern Weiß, Schwarz und Rot, weil das die Hauptfarben des Großen Werks sind.

Der SLK in Staufen auf dem Oldtimermarkt (2016)

Der SLK in Staufen bei der Oldtimerfahrt (2016)

Doch mit der Profanierung des Weiß muss man leben. Es ist ja alles hinlänglich profaniert, und passend dazu sind eigentlich profane Dinge geheiligt worden. Das Automobil mit seinem quasiheiligen Status muss alles tragen, was aus dem Denken verschwunden ist. Mit dem Auto erheben sich ganz normale Bürger in den Olymp, und niemand weiß, ob nicht vielleicht ein Mensch tatsächlich ein besserer wurde, indem er ein weißes Auto fuhr.

Weißer 2 CV am Rhein

Weißer 2 CV am Rhein

Das Automobil ist ein Konsumgut, das seinem Besitzer und seiner Besitzerin edle Größe verleihen soll, und womöglich fühlt sich solch eine Fahrerin tatsächlich erhoben und vergeistigt, wenn sie ihre weiße Maschine in den Straßenverkehr lenkt.

Aber vergesst nicht, ihr Besitzer von weißen Limousinen, dass dieser Besitz verpflichtet! Bildet eure Seele, lest die indische Mythologie und die Geschichten der zoroastrischen Gläubigen. Von euch wird mehr erwartet als von anderen, ihr seid vielleicht die perfecti der Katharer und die Wenigen, die dereinst erlöst werden. Fahrt vorsichtig, segnet die anderen Autofahrer und sprecht ein Gebet, bevor ihr den Motor anlasst.

Ein weißer Buckel-Volvo in Staufen

Ein weißer Buckel-Volvo in Staufen

Ihr zerstört das Weltklima genauso wie alle anderen, aber wisst es! Die Unschuld ist Illusion, auch das müsst ihr wissen. Sagt es allen anderen!

 

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