Ferragosto

Der 15. August, der Feiertag Ferragosto oder Maria Himmelfahrt, ist traditionell der Kulminationspunkt des Sommers in Italien. Aus purem Masochismus (oder Trägheit) bin ich im August manchmal in Rom geblieben und habe den Tag im Viertel erlebt, wo an jedem zweiten Geschäft ein handgeschriebener Zettel hing, auf dem vermutlich stand Chiuso per ferie / ritorno 1 settembre. Du hältst die Stellung. 

Die lange Straße unten vor dem Haus bleibt leer. Viele freie Parkplätze. Staubige Hitze. Beim Radfahren hast du wenigstens Fahrtwind: Heißer Monsun weht dich an über den verbrannten Rasenflächen des Parks Villa Doria Pamphili. Alles flimmert, du hältst an einer Ampel Nähe Engelsburg. Die Welt, die Rom ist, scheint all ihre Farbe verloren zu haben, und du selber fühlst dich aufgerieben und ausgebrannt. Alles in dir ist blass, und überhaupt: Wo wollte ich gleich wieder hin? Vermutlich ins Goethe-Institut. Am besten legst du dich irgendwo hin.

Da konnte man sich hinlegen: ein Grundstück im Infernetto.

Oder geh von der Stazione Termini bei 38 Grad in Richtung Piazza Barberini, und die im Schatten stehenden Leute werden dir vorkommen wie Hadesbewohner, unglückliche Gefangene, die ihre irdischen Erinnerungen im Schatten zu vergessen trachten. Trotzdem ist es wie ein gläserner Traum. Darum auch beginnt mein Roman »Mörderisches Rom« (2007) in einem fast menschenleeren Rom, in dem man zur Mittagszeit die Kirchenglocken hört, weil kein Auto fährt.

Ferdinand Gregorovius schreibt in seinem Buch Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, im Jahr 546 habe der Gote Totila die Stadt verwüstet, Senatoren und Frauen verschleppt und dem Volk befohlen, die Stadt zu verlassen, und »nach dieser Verödung sei Rom mehr als 40 Tage lang so verlassen gewesen, dass nur Tiere zu sehen waren, aber keine menschliche Seele darin verweilte.« 

Die Appia antica.

Viel später, nach dem normannischen Brand im 12. Jahrhundert, »verödeten die Hügel mehr und mehr; die wuchernde Kraft des Südens überdeckte sie mit Pflanzenwuchs; ehemalige Stadtviertel wurden zu Feldern, und fieberhafte Sümpfe breiteten sich in den Niederungen aus, und dort, in Gassenlabyrinthen, welche Schutthaufen, zertrümmerte Marmortempel und Monumente unterbrachen, saß das wilde Volk der Römer.« Heute sitzt es in drangvoller Enge am Meer von Terracina bis Civitavecchia, und dann schleicht es erhitzt in die Ferienwohnung, bis es Zeit ist, zur Pizzeria zu gehen. Ferragosto. 

 

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.