Lodernde Sinnlichkeit
Ich besitze sogar das Buch eines bulgarischen Lyrikers: Pejo Jaworow heißt er und sein Lyrikband Den Schatten der Wolken nach. Seine Gedichte hielten Kollegen für genial, seinen Namen — Kratscholow — für hässlich. Also tauften sie ihn um, und der junge Mann nahm den Namen an. Er war ein hochbegabter Lyriker und sein Ende tragisch. Wieder eine unglückliche Liebesgeschichte.
Dieser Beitrag schließt an Eminescu an, den Dichter aus Rumänien. Im Süden grenzt an das Land Bulgarien, das lange von den Türken unterjocht wurde. Noch 1878 waren Regionen nicht befreit, und Pejo Jaworow ging als Freischärler oft in den Kampf der Mazedonier um ihre Freiheit. Am 1. Januar 1878 in Tschirpan geboren, wurde Jaworow später Redakteur einiger Zeitschriften, Bibliothekar der Nationalbibliothek und ab 1910 zeitweise Chefregisseur am Nationaltheater.
In jenem Jahr (1910) erschien Dem Schatten der Wolken nach, was viele als Jaworows Gesamtwerk und Vermächtnis ansahen. Es machte ihn zum Nachfolger von Christo Botew (1848-1876), dem großen bulgarischen Nationaldichter, der im Kampf um die Unabhängigkeit seines Landes fiel, zwei Jahre vor Jaworows Geburt. Viel geht es um Liebe und Leidenschaft, und ein Zeitgenosse verfiel auf den suggestiven Begriff lodernde Sinnlichkeit.
1906 hatte sich Pejo Jaworow in Mina Todorowa verliebt, deren Familie gegen die Beziehung war. Nicht einmal als sie in einer Klinik am Atlantik im Sterben lag, durfte Pejo zu ihr. Am 12. Juli 1910 starb sie. Der Dichter lernte dann 1911 Lora Karawelowa kennen, die hartnäckig hinter ihm her war, bis er sie heiratete. (Chinesisches Sprichwort: Einem hungrigen Tiger und einer verliebten Frau entkommst du nicht.)
Nach der Heimkehr von einer Abendgesellschaft, es war im November 1913, macht Lora ihrem Mann eine Szene. Sie ist rasend eifersüchtig und erschießt sich mit Jaworows Pistole. Dieser, geschockt, will sich auch erschießen. Die Kugel bleibt im Gehirn stecken, und Jaworow erblindet. Es kommen Gerüchte auf, er habe Lora ermordet. Diese Anschuldigungen setzen Pejo Jaworow so sehr zu, dass er am 16. Oktober seinem Leben ein Ende setzt. (Oben rechts das Paar Lora/Pejo, Abbildung aus dem erwähnten Buch. Lora wirkt harmlos wie ein Vogel.)
Eine Art Gesamtausgabe von Jaworows Werk erschien, herausgegeben von Norbert Randow, 1999 beim C. Weihermüller Verlag in Leverkusen. Die Verlagsgründerin betreibt seit 30 Jahren das Zentral Antiquariat in der Stadt. Ich hoffe, das ist noch so; der letzte Eintrag des Zentralantiquariat-Blogs datiert vom 30. März vergangenen Jahres. Jedenfalls war es mutig, das Buch zu machen. So etwas geht nur mit Hingabe und Liebe zur Literatur, denn von Pejo Jaworows Lyrikband werden sich sicher nur wenige Exemplare verkauft haben.
Du bist nicht schuld
Aus einer anderen Welt stamm ich — nicht schuld bist du.
Du Kind des Erdenstaubs, des Träume Staub weht zu;
Nicht schuld bist du, von dir begehrt ich nicht
Dein Leidenschafts-Russ; Geist aber, der Kristallen glich.
Von dir begehrte ich, dass du ein Spiegel glänzend,
Nur meinem Traum geweiht in lichter Einsamkeit:
Ein Zauberspiegel glänzend, so Bild als Leben schenkend
Dem schönen Wunschbild mein im hellen Bronzekleid.
Du bist nicht schuld — aus einer andern Welt stamm ich.
Kenn Staub und Rauch im himmelhohen Frosthauch nicht;
Aus einer andern Welt stamm ich, was hülfest du
Bei meinem Schneeschlaf, meiner Eisesträume Ruh!
Was hülfest du, bist du doch keine Harfe klingend,
Die um das, was geheim ist, im Finstern schluchzt allein. —
Bist keine Harfe klingend, mit meiner Seele singend,
Die in mein Lied einstimmt von Freude und von Pein! —
Epitaph
Sein Ziel war nicht, dem Ruhme nachzujagen:
Kein Straßenstreit, und auch kein Schlachtenschlagen.
Wo Dunkles wirkt, dort war er hingezogen;
Und Liebe hieß das Schwert, das er erwählte.
Er nahm das Kreuz und hat es hochgehoben,
Wo lange Zeit als Kult nur Lüge zählte.
Des Bösen Druck, und doch kein Schulterbiegen.
Ein Dornenweg, und doch kein Kraftversiegen.
Die harte Brust, darin kein Bosheitswallen.
Sein Lächeln war dem Freund, dem Feind beschieden …
So bis ans Grab, ans Ende denn von allem.
Du teurer Freund, genieße deinen Frieden!
Vermächtnis
Ihr Brüder, dies Vermächtnis hinterlass ich:
Ob unglücklich ich sterbe einst, im Frieden,
Ob glücklich, fallend im Kampf — verscharrt mich nicht
Mit andern in der Erde, Fraß den Würmern.
Vermächtnis heilig, heilig einzulösen;
Durch Feuer zu Asche meinen Leichnam wandelt …
Dort auf dem Meer, dem Sturm und Fluggetöse —
Nur ihnen meine Asche anvertrauet.
Aus dem genannten Buch Pejo Jaworow. Übersetzt hat ihn Norbert Randow (1929-2013). Er kam aus Strelitz, studierte in Berlin und Sofia, wurde Assistent an der Humboldt-Universität, jedoch 1962 wegen »Beihilfe zur Republikflucht« zu drei Jahren Haft verurteilt. Danach wurde Randow zum Übersetzer und Förderer der bulgarischen Literaur und war freiberuflich tätig. Nach 30 Jahren (1993) konnte er wieder an die Berliner Universiät zurückkehren (dazu bitte lesen: Eine Professorenbiografie).