Was das Museum erzählt
Ich blieb einen Tag in Auschwitz; mein Zelt stand auf einer Wiese der Jugend-Begegnungsstätte. Das jüdische Museum war geschlossen (Sabbat), wie ich im Stadtmuseum erfuhr, das ich sodann besuchte: Zu sehen war dort die Geschichte von Auschwitz (Oświęcim), museal aufbereitet, nach modernsten Erkenntnissen.
Zu Frankreich gebe es besondere Beziehungen, erzählte eine Mitarbeiterin, und das Land habe das Museum einrichten helfen. Es war alles perfekt; wie man es heute halt so hat. Ein vertrauenswürdiger Historiker in Lebensgröße plaudert von einer Leinwand herab; man kann irgendwelche Mini-Bildbetrachter auf einer Schiene umherschieben und kriegt Bilder zu sehen; ebenfalls in beträchtlicher Größe präsent: ein Königspaar (zwei Schauspieler, lächerlich); und viele Informationen.
Nur merkte ich schon nach ein paar Vitrinen, dass mich das überhaupt nicht interessierte. Null komma null. Für mich war es ein nach allen Regeln museumspädagogischer Kunst aufbereitetes Nichts. So ist das eben: Das Vernichtungslager, in dem eine Million Juden vergast wurden, wirft seinen harten Schatten, und das wird für immer so sein. Wen interessieren da die Vorgänge von 1400 bis 1900, die zudem antiquiert als »Geschichte von oben« präsentiert wird: Feldzüge, Königskrönungen, wieder Kriege, die Wirtschaft, das moderne Leben. (Rechts: Im Treppenhaus drehte sich gemächlich eine Installation, die den Namen der Stadt in verschiedenen Sprachen zeigte, sogar auf Hebräisch; da hat man was zu kucken, aber sinnlos ist es, die reine Tautologie.)
Ich schrieb hinterher ins Gästebuch: Hier müsste ein Museum hin über die Unmenschlichkeit des Menschen, über Massaker und Gemetzel und Zwangsarbeit: Spanier in Südamerika, Sklavenhandel, die Fast-Ausrottung von Indianern und australischen Aborigines, Unterdrückung, Kriegsgreuel, die Gulags der Sowjetunion und die Nazi-Lager. Hintergründe und … was man weiß.
Meine Vorbehalte gegenüber Museen sind gewachsen. Es sind Institutionen der Verschleierung, der Ästhetisierung und des Eskapismus. Keimfreie, gut ausgeleuchtete Zonen sind entstanden, die mit der Realität wenig zu tun haben. Geschichte als unterhaltsamer, bedeutungsloser Bilderbogen. Ich weiß auch nicht, wie man es anders machen könnte. Vielleicht auf Museen verzichten.
Da dachte ich an das Erlebnis im jüdischen Museum Ferrara vor einem Jahr. Auch da hatte ich Unbehagen empfunden, weil alles so schön war und anheimelnd. Keine Atmosphäre mehr. Wie schön waren doch die alten Museen mit ihren muffigen Geräten und groben Installationen! Heute nimmt uns die Museumspädagogik bei der Hand und raubt uns die Phantasie. So erleben wir das Verschwinden von Geschichte.