Flugverkehr (90): Mario Luzis Flüge

Elitär und hermetisch könnte man die Poesie von Mario Luzi (1914-2005) nennen, der die italienische Lyrik-Tradition von Quasimodo, Montale und Ungaretti fortführte und als alter Mann noch federleichte, sprachschöpferische Gedichte zuwege brachte. Unter den letzten nachgelassenen Gedichten fanden sich auch zwei übers Fliegen, sie passen in meine Serie.

Ich wollte nachschauen, was es auf Deutsch von Luzi gibt. Zwei Bände. Der neuere (1998) heißt Wind und Ocker, übersetzt von Hanno Helbling, der drei Wochen vor Luzi gestorben ist, am 9. Februar vor 15 Jahren in Rom, wo ich ein paar Mal im Goethe-Haus bei Vorträgen neben ihm saß. Helbling war von 1973 bis 1993 Chef des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung und kannte sehr gut die Politik des Vatikan. Ich war nur ein unbedarfter Journalist, der in Rom lebte.

Hanno Helbling unternahm es, den schwierigen Luzi zu übersetzen, und planetlyrik druckte sein Nachwort ab, das besser Luzi vorstellt, als ich es könnte. Ich versuche nun auch das Schwierige, erweise dem großen Zürcher meine Reverenz und dem großen Florentiner auch (Luzi war aus Florenz). Die beiden Gedichte sind von 2002, sie kamen erst später ans Tageslicht, und Helbling kannte sie gewiss nicht.

Manche Zeilen hat der Dichter nach rechts eingerückt, sein Schriftbild ist immer exquisit, und man kann es nicht abbilden (oder: Ich verstehe es nicht, es dem Programm beizubringen). Beide Gedichte sind ohne Titel. Das erste beginnt mit Alzati nel volo fin que puoi, das zweite mit Quel lungo volo a cosí bassa quota.

Erheb dich in den Flug so hoch zu kannst, erreiche,
wer immer du bist,
deinen höchsten Aufstiegspunkt
und höchste Höhe, sinke
dann in der Dichte der Luft
001und in der Düsternis des Meeres
aber nicht kopfunter, Achtung!
vermeide die Höhlen
der Dunkelheit
aus denen man kaum wieder emportaucht
und von denen zu sprechen dir verweigert wird —
wir wissen es.
Bleib innerhalb deiner Grenzen, gebrauche
die Ruhe, die Hartnäckigkeit,
die Aufmerksamkeit der Sinne,
des Geistes — so sagen
Experten Ratgeber meiner Unzulänglichkeit
ohne zu wissen dass der Pakt schon geschlossen ist
zwischen Angst und Endlichkeit
und dass es irdischen Frieden und Frieden darüber hinaus gibt, es gibt ihn.
Du hast mir viel, meine Erde,
eingebrannt
in die Seele und in den Blick,
es ist mir ins Fleisch geschrieben,
aber du behalt von mir trotzdem ein paar Spuren,
ich bitte dich, nicht alles pulverisieren
bevor alles vollendet ist.

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Jener lange Flug in derart geringer Höhe …
schlagartig bekam er große Angst.
Sie hatte wer? ein Wille außerhalb seiner
aber unanfechtbar
gebremst
in seiner stärksten Ausprägung
DSCN0356gehalten in jener Mittellage der Luft
in Reichweite der Schüsse …
Mehr ließ er nicht zu
jener geheimnisvolle Zügel.
hatte Angst
vor dem höchsten und dem offensten Himmel
au den sich seine Kraft richtete:
sie war eine Schuld an der souveränen Harmonie
nicht ein Starrsinn
der kappte wie er es tat …
dennoch befreit ihn nicht
von Demut
die große Kraft
die hochhebt
seine Flügel und sie biegt,
die wiederholte Lust
an Raum und Höhe
betäubt sie, ohne sie stolz zu machen,
das Begehren ist ein anderes von dort,
aber ist stark. Hatte
seine Sonnenhaftigkeit und
himmlische Zeichen, mit denen sich zu vergleichen war,
Sterne, Planeten, Engel, Kreaturen
noch nicht entschieden zwischen Schatten und Licht, Gesänge —
und hat sie noch.

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