Roma vuota

Rom, die große Stadt, ist wie ausgestorben. Man spüre einen Hauch des Todes, sagte mir eine Freundin, wenn man auf der Piazza di Spagna unterhalb der Spanischen Treppe spazierengehe; man freue sich sogar über einen Mann mit Hund. Ein wenig Angst habe man auch, doch es seien viele Polizisten unterwegs. Rom verlassen!? Wie damals einmal um 1400, als der Typhus aus den Sümpfen in der Stadt war und die Einwohner ihr Heil in der Campagna suchten. 
2020-03-13-0001Ist das nicht völlig verrückt? Beschrieben hatte ich das in meinem Buch Mörderisches Rom, das 2007 erschien. Vor zwei Jahren schrieb ich es etwas um und nannte es Kritische Masse, was als E-Book erhältlich und sogar dank Google ganz zu lesen ist. Dass Rom wegen Verkehrsterroristen, die auf Autofahrer zielen, verlassen wirkt, kam mir zynisch vor. Rom ist wegen des ökologischen Sonntags leer, denn das waren Sonntage vor 20 Jahren, an denen — damals dank der damaligen Linksregierung — Autofahren in der Stadt untersagt war. Rom leer (vuota), das war immer mein geheimer Wunsch, der nun auf ungeahnte Weise in Erfüllung ging, aber es kann einen nicht recht freuen. So fängt der Roman an:

Auf der Piazza Venezia winkt ein Verkehrspolizist von seinem Podest herab drei Motorroller und zwei Busse an der Einmündung der Via del Corso vobei. … Später Vormittag mitten in Rom. Die kleinen Pflastersteine, Sampietrini genannt, brüten unter der Sonne. Nichts los hier. … Fünf Möwen kreisen über dem »Altar des Vaterlandes«, dem marmornen Obermonster der italienischen Republik. Freie Sicht zum Kolosseum. Nur ein Elektroroller befährt die Via Labicana, die vom Kolosseum weiterführt in Richtung Manzoni. Eine orangefarbene Tram steht verlassen mit aufgeklappten Türen da wie im Freilichtmuseum. … Schön ist später der Blick die kilometerlange Straße Cristoforo Colombo entlang, die sich hochzieht zum Verwaltungsviertel EUR als stilles graues Band. … 

2020-03-13-0002Wenn Ferdinand Gregorovius das wüsste! Als er neu war in der Stadt, hat er gedichtet: »Rom ist so tief still, dass man hier in göttlicher Ruhe empfinden, denken und schaffen kann.« Diesen Satz las ich mit großen Augen. Sieben Jahre später, im April 1859, hatte sich nichts geändert: »Auf dem faulsten Fleck Europas lebt man wie im Traume fort.« … Einmal ließ er sich zu folgenden Zeilen hinreißen: »Rom ist still und schwül, wie aus der Welt verloren, wie in sich eingesponnen und verzaubert. Der Scirocco weht auch immerdar. Die aufgeregtesten Momente der Zeit fallen hier wie tonlos in die Ewigkeit nieder.« Fallen — wie — tonlos … ach, wie ist das schön! Die Römer sind wütend. Fast zwei Millionen Autos stehen nutzlos geparkt. Zehntausende Renault Méganes, Fiat Stilos, Smart Forfours, Lancia Kappas, Deltas und Gammas, Alfa Romeos und Giulias, Maseratis und Ferraris — die Kronen unserer Schöpfung — werden nicht bewegt. Ein Jammer! Die Tankwarte verzagen und shauen vor Verzweiflung die Endlos-Livesendung von zwölf Uhr mittags bis um sechs …

 

In meinem Tod am Tiber sieben Jahre später (2014) bietet Rom, die Ewige Stadt, Rudi ein ähnliches Bild, als er im traurigen Abspann mit dem Rad zu seiner Wohnung fährt.

Die Stadt ist leer. Ein paar Gestalten, behangen mit Fetzen als notdürftiger Kleidung, schleppen sich auf der Viale Marconi dahin, lungern an der Brücke herum, und wenn sie dich sehen, rufen sie: »Erbarmen!« Rom ist zu einer Wüste geworden, in der die Sekunden ungehört in die Ewigkeit tropfen. Was tut der Papst? Er soll in seine Sommerresidenz geflüchtet sein. 

Der Herr de Montaigne, der 1580 Deutschland und dann auch Italien besuchte, hätte gern Zürich kennengelernt. Sein Diener schreibt (wir werden auf manipogo in fünf Tagen mehr erfahren):

Beim Aufbruch von Baden hatten wir Zürich zur Rechten gelassen; der Herr von Montaigne war entschlossen gewesen, die Stadt zu besuchen, die nur zwei Meilen entfernt lag, aber man hatte ihm mitgeteilt, dass die Pest dort herrsche.

So lapidar. In den Jahren von 1346 bis 1353 kostete die Pest in Mitteleuropa 25 Millionen Menschen das Leben, genauso vielen wie die Spanische Grippe 1918 gleich nach dem Ersten Weltkrieg. Oft fällt mir die Geschichte Die Maske des Roten Todes von Edgar Allen Poe ein, und vor langer Zeit habe ich darüber geschrieben. Fürst Prospero zieht sich mit Feiergästen zurück, während draußen die Seuche wütet. Doch diese läst sich nicht abweisen …

 

Illustrationen: Oben rechts die Spanische Treppe um 1855; darunter Via Capo le Case, 1871, beides aus einem Band zu der Ausstellung Rom in frühen Fotografien 1846-1878 im Museum Ludwig in Köln, 1978. 

 

 

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