Frenchman’s Creek
Mit Genuss, sogar mit Begierde habe ich den Roman Frenchman’s Creek von Daphne du Maurier (1908-1981, am 19. April) gelesen, deren Buch Rebecca von Hitchcock verfilmt wurde. Die Bucht des Franzosen (der öde deutsche Titel) wurde sogar zwei Mal verfilmt, 1944 und 1998, und wenn man die Filmplakate sieht (weiter unten gibt’s das von 1944), muss man wohl leider hinzufügen. Das Buch ist brillant, es ist Liebes- und Abenteuer-Roman in einem, aber auf hohem Niveau.
Ich will mich auf zwei Randaspekte konzentrieren, ohne die Handlung zu vergessen: In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vergnügt sich in London die 30-jährige Dona St. Columb, seit sechs Jahren mit dem schlichten Harry verheiratet und Mutter zweier süßer Kinder. Dann ist sie genervt und reist mit ihren Kindern zum Landsitz Navron House an der Küste Cornwalls, die von einem französischen Piraten unsicher gemacht wird. Den lernt sie kennen, und in ihn verliebt sie sich unsterblich. Sie lädt ihn zum Abendessen ein, geht auf Exkursion mit ihm, doch die Nachbarn wollen ihn fangen und aufhängen. Ersteres gelingt ihnen auch, und dann wird die Sache knapp, denn schon richtet man den Baum her, von dem der Pirat baumeln soll.
Der Franzose, Jean-Benoit Aubéry, ist ein wohlerzogener, ironischer und überlegter Pirat, der nur die Reichen beraubt. Er spricht wenig, ist sehr intuitiv und unternehmend dazu — ein Traummann, das muss man sagen, den Daphne du Maurier jedoch nicht verkitscht schildert. Man glaubt ihr den Charakter und auch den der Dona, die ja nichts mit den tumben Langweilern verbindet, die um Navron House herum Landbesitz haben. Aubéry und Dona St. Columb haben etwas gemeinsam: So wie sie in London ahnte, dass sie für ein anderes Leben gemacht sei, so ließ auch Aubéry seine frühere Existenz zurück, um Abenteuer auf See zu erleben. Da sprach etwas in ihnen beiden und sagte: Du sollst dein Leben ändern. Das ist mein Aspekt eins, der mit dem nächsten Punkt (Aspekt zwei) viel zu tun hat.
Dabei geht es um den wörtlichen und den übertragenen Sinn: das Manifeste und das Verborgene. Hinter Schleiern steckt eine tiefere Wahrheit, die manchmal das Unbewusste heißt und sich auf mysteriöse Weise äußert. Es verwendet manchmal eine Geheimsprache, will einem scheinen, die entschlüsselt werden will. Man muss hier auf die Dialoge in Frenchman’s Creek eingehen, die köstlich gestaltet sind. Butler William ist ein Freund des Piraten und gleichwohl ein loyaler Mitarbeiter. Er versteht Dona perfekt. Zwar spricht er nur knapp, wie das ein Butler tut, aber seine vermeintlich schematischen Antworten sind so voller Verständnis; da schwingt viel mehr mit, als die Worte allein sagen.
Kinder lieben es ja, sich in einem Geheimcode zu unterhalten, dass die anderen nicht mitkriegen, was sie sagen. Das finde ich faszinierend. Noch schöner ist es, wenn das Gesagte für einen Dritten banal klingt, dem Zweiten jedoch wichtige Informationen gibt. Oder wenn ein Dialog von Vögeln handelt und dann ungeahnt erotische Untertöne annimmt wie in der Szene aus dem Film Die Another Day (2002), als Pierce Brosnan als James Bond erstmals auf Halle Berry stößt und ihr etwas über Nachtvögel erzählt und plötzlich die Temperatur steigt …
Dona St. Columb reitet zu Sir Godolphin, in dessen Haus der Pirat gefangengehalten wird. Sie hält Godolphin für einen Trottel und überredet ihn, den Gefangenen besuchen zu dürfen. Dann geht es auch um Vögel. Sie darf sich eine Vogelzeichnung des Gefangenen auswählen und ist sich unschlüssig. Während das Schiff des Piratenkapitäns vor der Küste wartet, weil nur der Chef fehlt, erzählt dieser seiner Besucherin, eine Seemöwe habe eine Feder verloren, und dieses Tier entferne sich gewöhnlich nicht weit von der Küste. Dona spricht danach von ihrer früheren Federmatratze, und Godolphin meint, sie rede im Fieber. Dann sagt Jean-Benoit Aubéry:
»Kam so eine Feder mal unter der Tür durch?« (…) »Ach, daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte Dona, »ich glaube, auch so eine Feder hätte Probleme, unter einer Tür durchzuschlüpfen … außer natürlich, sie hätte Hilfe wie durch einen starken Windstoß, sagen wir durch ein Gewehr oder eine Pistole. Aber ich habe mich noch nicht für eine Zeichnung entschieden …
Da gibt es einen Subtext. Es geht um die erhoffte Befreiung. Dona hat eine Pistole bei sich. Sie sagt dem Lord Godolphin, der Arzt fahre gerade ab, sie höre die Kutsche, und seine Lordschaft verschwindet — und sie gibt ihrem Piraten die Waffe. Später dann, als Harry mit den Kindern auf sie wartet, muss sie sich wieder entscheiden: für den Piraten oder für ihr Leben als Mutter. Jede Entscheidung wird wehtun und ihr etwas rauben — doch niemand kann ihr nehmen, was sie erlebt hat: mit dem Menschen, der zu ihr gehörte. Ja, man muss sich entscheiden, entweder für den wörtlichen Gehalt oder für den Geist einer Sache. Für die äußerliche Wahrheit oder die tiefere, die verschleiert ist. Und was was ist, wird nicht immer deutlich.