Der scharlachrote Buchstabe
Was ist das für ein scharlachroter Buchstabe, der Nathaniel Hawthornes Roman aus dem Hahr 1850 seinen Titel gab? Es ist ein rotes A, auf das Kleid der Hester Prynne gepinnt, damit alle sehen, dass sie eine Ehebrecherin ist: eine Adultress. In der puritanischen Gemeinde in Neu-England (an der Ostküste der USA) war das um 1600 so, drei Stunden Stehen am Pranger inklusive. Hesther steigt vom Pranger herunter und beginnt ihr neues Leben als Gebrandmarkte. So fängt die Geschichte an.
Könnte natürlich auch ein P sein, für positiv. Oder ein J für Jude, musste in Gelb getragen werden während der Nazizeit. Wenn eine Frau mit einem Staatsfeind zusammen gewesen war, schor man ihr die Haare und schleifte sie durch die Straßen. In der Antike wurden Ehebrecherinnen gesteinigt, die Männer kamen meistens davon. Bei den Puritanern war alles sündig, und Nathnaniel Hawthorne (1804-1864) hat ihre Kultur oft kritisiert, und in dem Roman lässt er Hesther geradezu Aufrührerisches denken, und es passt auf jegliche Zivilisation der vergangenen Jahrhunderte:
Dieselbe dunkle Frage stieg in ihr auf, wenn sie an das ganze weibliche Geschlecht dachte. Lohnte es sich überhaupt zu leben, selbst für die Glücklichste? … Als erstes müsste die ganze Gesellschaftsordnung niedergerissen und neu aufgebaut werden. Dann müssten die Natur des Mannes und seine althergebrachten Gewohnheiten, die ihm schon zur zweiten Natur geworden sind, von Grund auf geändert werden, ehe der Frau eine gerechte und angemessene Stellung in der Gesellschaft eingeräumt werden könne.
Rasch taucht ein neuer Handelnder auf: ein Arzt und Gelehrter, Roger Chillingworth. Der alternde Mann ist der betrogene Ehemann und dürstet nach Rache. Er ahnt bald, wer sein Opfer sein muss: der hingebungsvolle Geistliche Arthur Dimmesdale, im Buch immer Mr. Dimmesdale genannt. Ihn halten alle für einen Asketen und heiligen Mann, und er, der um seinen Fehltritt weiß, dem die kleine süße temperamentvolle Pearl entstammt, leidet fürchterlich. Er hält sich für einen Heuchler und Betrüger und verfällt unter dieser Last körperlich zusehends. Der Arzt kümmert sich um ihn, aber nur, um seinen Racheplan umzusetzen.
Also eine ziemliche Schauergeschichte, die zudem breit und schwelgerisch erzählt wird, im Ton der Spätromantik. Sebald könnte sich daran orientiert haben. The Scarlet Letter ist ein unsterblicher Klassiker geworden, den alle Schüler lesen müssen — wie die italienischen I Promessi Sposi von Manzoni. Wie geht es weiter? Hester lebt sieben Jahre in der Gemeinde und wird allmählich geachtet; der Buchstabe A spielt keine Rolle mehr, er könnte schließlich auch für Angel stehen, für Engel. Hester versucht, Dimmesdale aus dem Bannkreis dieses satanischen Arztes zu befreien. Die beiden — Hester und ihr einstiger Geliebter — sprechen sich im Wald aus. Sie kommen überein, gemeinsam zu fliehen und sich woanders, jenseits des Großen Teichs, also in England, eine neue Existenz aufzubauen. Mr. Dimmesdale wirkt plötzlich wie verjüngt und voller Energie.
Jedoch ist noch der Tag der Einführung des neuen Gouverneurs zu bestehen. Dimmesdale hält die Predigt seines Lebens, die Honoratioren geleiten ihn durch die Stadt, und der Geistliche wird blass und blasser. Dann kommen sie zu dem Pranger, von dem zu Beginn der Geschichte Hester stieg. Mr. Dimmesdale hält an und steigt hinauf und bittet Hester und Pearl, mit ihm zu kommen. Den Rest kann man sich ausmalen. … Später, viel später, als manche Leute immer noch behaupten, in die Brust des jungen Pfarrers sei deutlich ein A eingegraben gewesen, ruhen Hester und Mr. Dimmesdale beziehungsweise ihre Körper unter demselben Grabstein, und ihn ziert natürlich als Wappen ein rotes A auf schwarzem Grund, siehe oben.