Irina und ihr Guru

Lange habe ich diesen Beitrag vor mir hergeschoben. Da war Irina, die Russin, die nach dem Tod ihres Mannes sich selbst suchen wollte und bei einem Guru in Indien auf den »Pfad der Liebe« ging, wie die Sufis ihn verstehen. Sie blieb bei ihm bis zu dessen Tod, fand Frieden, und ihre Tagebuchaufzeichnungen wurden das Buch Wie Phönix aus der Asche. Doch bevor Phönix sich erheben kann, muss alles verbrannt werden.

_LJM7071Der Beitrag fällt mir schwer, weil es um Liebe und Strenge geht und ich ja selbst Härte in mir spüre, die ich möglichst mildern möchte. Irina Tweedie geht 1961 zu Bhai Sahib und hat Vertrauen zu ihm — und wohl zu Recht. Der heilige Mann weiß, was er tut. Er führt Irina und will sie zu einer Liebenden machen, aber das geht mit ziemlicher Grausamkeit vor sich. Er ignoriert sie meistens und lässt sie alleine im feuchten Hauseingang sitzen. Sagt ihr ein paar Worte und ist dann wieder weg, während sie später in ihrer glühendheißen Wohnung hockt. Sie weint viel.

_LJM7247Der Guru sagt, sein eigener Guru (Maharji) habe ihn 30 Jahre lang schlecht behandelt; erst gegen Ende habe er begriffen, dass er geliebt worden sei. Alles müsse verbrennen und zu Asche werden, bevor man Gott und andere Menschen wahrhaft lieben könne. Den Verstand müsse man von sich abtun und Charakter und Willen wegwerfen, einfach alles. Man muss sich demütigen und wie den letzten Dreck behandeln lassen. Zu Asche werden, aus der ein neuer Mensch emporsteigt.

Viele Gurus haben die Abhängigkeit ihrer Schülerinnen ausgenutzt. Irina hat Glück gehabt. Dem Guru gelingt es, nach Wunsch mit ihr zu verschmelzen, ein Chakra nach dem andren bei ihr zu öffnen, und das sind eben orientalische Psychotechniken, die zu erlernen man Jahrzehnte braucht. Viele Nächte wurde Irina von sexuellen Dämonen gequält, was dem Guru anscheinend bewusst war. Sie musste sich mit dem Gierigen in ihr und ihrem Verlangen konfrontieren. Der Heilige hat Bedürfnisse, sagt Bhai Sahib, aber er erfüllt sie sich nicht. Der Heilige tut, was er tun muss, er folgt Befehlen, die nur er kennt. Der normale Mensch folgt seinen Instinkten und seinen Wünschen.

Indien 292Vergessen wir nicht, dass es sich um einen Pakt handelte. Irina wollte etwas von Bhai Sahib und akzeptierte, dass es hart sein würde. Sie legte ihr Leben in seine Hand, und er sagte: Dieses Leiden ist erst der Anfang. Es wird alles noch viel schrecklicher. Du musst Nichts werden. Solange du aufbegehrst und dich aufregst, bist du noch zu sehr der Welt verhaftet. Du sollst alles mit Gleichmut hinnehmen. Sollst dich völlig unterwerfen, was Islam bedeutet. Der Guru ist dein Prüfstein, dein abstrakter Liebhaber, der dich zu Gott führt. Seine Liebe ist Strenge.

DSCN4940Dann wieder strömt Liebe aus seinen Augen, und der Meister ist in samadhi, der Welt entrückt, und der Friede greift auf andere über. Wenn man spürt, dass man einen heligen Mann vor sich hat, lässt man sich vielleicht auf alles ein. — Eine Frau, die Engel sehen kann, meinte einmal, von den höheren Wesen sehe sie nur die Augen, und ihr Schutzengel sage dann ein paar strenge Worte, die man nicht vergesse; nur Strenge wirke. Sind wir so? Brauchen wir die harte Schule? Richtig ist jedenfalls, dass wir in diesem Leben nur aus Fehlern lernen und die Lektionen nachhaltig wirken müssen. Und dass das Ego das größte Hindernis ist, wenn man ein/e Liebende/r sein will.

Marianne Williamson schrieb in Return to Love:

Etwas Erstaunliches passiert, wenn wir uns aufgeben und bloß lieben. Wir verschmelzen mit einer anderen Welt, einem Reich der Kraft, das schon immer in uns war. Die Welt verändert sich, wenn wir uns verändern. Die Welt wird weicher, wenn wir weicher werden. Die Welt liebt uns, wenn wir uns entschließen, die Welt zu lieben. … wir glauben, dass ohne das Ego alles Chaos wäre, während das Gegenteil wahr ist. Ohne Ego würde alles Liebe sein.

 

Die drei oberen Bilder: Giovanna Braghetti, Indien, 2011; das vierte: Oberbayern, 2013.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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