Am Meer

Langsam sehnt man sich wieder danach, zu reisen. Undenkbar (für Italiener): ein Jahr ohne Strandurlaub. Drei Monate war ich nicht mehr in meiner Bucht neun am Rhein-Kanal. Was sagen meine Schwäne? Vermissen sie mich? Und wieviel Müll wird wieder daliegen! Aber selber daliegen an einem Sommertag und übers Wasser schauen, das wär’s … Drei schöne italienische Meeres-Gedichte, von mir übersetzt.

Fangen wir mit einem ganz kurzen an, Nummer 27 aus dem Taccuino del Vecchio (Das Notizbuch des Alten), verfasst von Giuseppe Ungaretti (1888-1970):

DSCN5174Die Liebe ist nicht mehr jener Sturm
Der in der Nacht blendet
Und mich dennoch umschlang noch vor kurzem
Mit Schlaflosigkeit und Raserei,

Aufblitzen von einem Leuchtturm
Woraufhin ruhig zugeht
Der alte Kapitän.

Salvatore Quasimodo (1901-1968) hört es, das Meer:

MAN HÖRT WIEDERUM DAS MEER

Seit einigen Nächten schon hört man wiederum das Meer,
leicht, auf und ab, entlang des glatten Strandes.
DSCN2776Echo einer Stimme eingeschlossen im Gedächtnis,
die zurückweist in die Zeit; und dann dieses
andauernde Klagen der Möwen: vielleicht
auch von Turmschwalben, die der April
auf die Ebene zutreibt. Einmal
warst du mir nahe mit jener Stimme;
und ich möchte, dass auch zu dir, jetzt,
von mir ein Echo aus der Erinnerung kommt,
wie jenes dumpfe Gemurmel des Meeres..

 

Mario Luzi (1914-2005) ist immer elegisch und anbetend:

O Meer, Meer,
luftig, frisch,
DSCN4531in Frische sich brechend,
Meer des ersten Frühlings
der Mauern
der Küstenstadt
als sie sich
selbst erwartete
auf künftige Ereignisse gerichtet.
Es filterte hinein
in die kleinsten
versteckten Buchten,
trat ein in jede Schlucht
des steilen Felsenriffs,
schlug sich
DSCN4548knurrend an die Molen,
an denen er, überströmt
von Wasser und Salz
Licht und Luft
zuerst gewählt hatte
das Meer
für jene Pilgerfahrt.
Wann? Er erinnerte sich nicht der Zeit,
der Wind kam aus Nordosten —
und jetzt trug ihn
die harte Umsegelung
von Festland, von Inseln
zu sich selbst zurück,
auch wenn »sich« es nicht gab
und vielleicht nie gegeben hatte
und er getäuscht worden war …
O Freiheit, o Freispruch
durchs Leben im vollen Leben … Amen.

 

 

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