15. Juni (1940)

Schon vor längerem hatte ich mir vorgenommen, heute den Roman La mort dans l’âme von Jean-Paul Sartre zu beginnen, der 1949 herauskam. Warum heute? Weil die erste Überschrift so lautet: »New York, 9 Uhr am Vormittag, 15. Juni 1940.« Dann beginnt die Handlung. Heute sollte auch die Grenze zu Frankreich nach drei Monaten wieder geöffnet worden sein, und um Frankreich und Deutschland geht es in dem Romanzyklus Die Wege der Freiheit von Sartre.  

Den zweiten Band, Der Aufschub (le sursis) hatte ich davor gelesen. Darin dreht sich alles um das Münchner Abkommen vom September 1938; die Welt wartet auf den Krieg, der erst einmal abgesagt, aber leider nur vertagt wurde. Ich habe das Buch in dem Beitrag erwähnt, in dem Gomez nach Barcelona fliegt, hinein in den Spanischen Bürgerkrieg. Er ist der Mann, der in New York erwacht. Wie sah die Welt am 15. Juni vor 80 Jahren aus? Am Tag zuvor war die 18. Armee Großdeutschlands in Paris einmarschiert, das zur »offenen Stadt« erklärt wurde (wie später auch Rom). Die deutschen Militärs hielten eine Parade vor der Arc de Triomphe ab. In 14 Tagen war Frankreich in die Knie gegangen.

In dem Roman Der Tod in der Seele (auf Deutsch kam er als Der Pfahl im Fleische in den Handel) wird Gomez wissen, dass Paris gefallen ist. Ich bin sicher, Mathieu wird wieder auftauchen, die zauberhafte Ivich und vielleicht auch Odette. Ich freue mich darauf, den Roman bei meinen Schwänen lesen zu können und im Niemandsland zwischen den beiden Ländern. 30 Kilometer nördlich, bei Breisach, überrannte die Heeresgruppe C am 14. Juni 1940 die Maginot-Linie. — Hören wir uns den Anfang des Romans an:

010Ein Polyp? Er nahm sein Messer, öffnete die Augen, das war ein Traum. Nein. Der Polyp war da, er saugte ihn durch seine Luftlöcher an: die Hitze. Er schwitzte. Er war gegen ein Uhr eingeschlafen; um zwei Uhr hatte ihn die Hitze geweckt, er hatte sich in ein kaltes Vollbad geworfen und sich wieder hingelegt, ohne sich abzutrocknen; bald darauf hatte die Schmiede unterhalb seiner Haut wieder zu arbeiten begonnen, und wieder schwitzte er. Bei Tagesanbruch war er eingeschlafen und hatte von einem Brand geträumt; im Augenblick stand die Sonnne gewiss schon hoch, und Gomez schwitzte immer noch: Er schwitzte ohne Pause seit achtundvierzig Stunden. Das war keine Hitze: Das war eine Krankheit der Atmosphäre, die Luft hatte Fieber, die Luft schwitzte, und man schwitzte im eigenen Saft.

 

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