Zürich-Transit

Max Frisch (1911-1991) war lange Jahre mein Favorit unter den Schriftstellern. Später legte sich das. Frisch war halt ziemlich Schweizerisch, und die Schweiz hat ihn immer bewegt, was gut zum heutigen Nationalfeiertag im Nachbarland passt. Mir fiel plötzlich Zürich-Transit ein, und ich denke,  Max Frisch hätte auch gute Geistergeschichten geschrieben, aber er war halt Architekt und Schweizer.

DSCN4318Zürich-Transit ist die »Skizze eines Films«, 1965 geschrieben. Da breitet Frisch das Motiv des Geistes aus, der unerkannt auf sein Leben zurückblickt und sich fragt, was da war. Die Identität war für den Schweizer ein wichtiges Thema. »Bin ich Stiller?« fragt sich die Hauptfigur seines gleichnamigen Romans, und Gantenbein sagt: »Ich probiere Geschichten an wie Kleider.«

Max Frisch hat sich nicht sonderlich für Religion und überzeitliche Werte interessiert; er war, als Schweizer, Realist. Und so hat er das Geister-Motiv auch so realistisch ausgearbeitet, wie es möglich ist.

032Theo Ehrismann sitzt im Flugzeug, das sich Kloten nähert, als er liest, dass er gestorben sein soll. Jemand hatte seinen am Flughafen »parkierten« Porsche entwendet, rannte in einen Baum und verbrannte. Muss Ehrismann gewesen sein, die Angehörigen trauern. (Heute würde man die DNA untersuchen, und der Fall wäre bald geklärt.)

DSCN2638Ehrismann wohnt seiner Beerdigung bei, doch er schafft es nicht, sich seiner Frau und den Verwandten zu offenbaren: Hey, ich lebe! Er sieht fasziniert zu und belässt es dabei. Seine Frau hat einen Liebhaber, irgendwie geht es auch ohne ihn. Wie ein Geist schleicht er umher. (Und raucht immer Pfeife, wie Max Frisch selbst — und ich — auch. »Early Morning Pipe« von Dunhill hieß seine bevorzugte Mischung. Die rauche ich auch meistens.)

Das Ende bleibt offen. Vielleicht fängt Theo Ehrismann ein neues Leben an: eine Reinkarnation in ein und derselben Lebenszeit. Könnte man sich dann neu erfinden, ein anderer sein? Oder muss das Illusion bleiben?

 

Bilder: oben im Flughafen, der Korridor mit Uhren, den es eine Weile gab; dann ein sich näherndes Flugzeug; und ein Friedhof in Zürich.

Max Frisch taucht noch auf in:
Der Musterjude
Albin Zollinger
Kritische Ausgabe: Architektur
Meine 10 besten Romane

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.