Kritische Ausgabe: Architektur

Die Kritische Ausgabe, Zeitschrift für Germanistik & Literatur aus Bonn, erscheint, von Studenten gemacht, seit 1997 mit je zwei Ausgaben im Jahr. Die neueste ist der Architektur gewidmet. Das interessiert mich auch, und ich fühle mich den Bonnern ja noch verbunden, da ich sechseinhalb Jahre auf ihrer Internetseite Kritische Ausgabe plus meine 14-tägige Kolumne Ausreißversuche hatte, die sich nachträglich als Vorübung zu manipogo erweist.   

Marcel Diel, der frühere Chefredakteur der K. A., hatte meine Beiträge immer liebevoll aufbereitet und ins Netz gestellt. Zuletzt hat er in Berlin gearbeitet, und ich habe lange nichts von ihm gehört. Auf Mails kam keine Antwort. Weiß jemand, wo er abgeblieben ist? Meldungen bitte an die manipogo-Redaktion. 

Bei der K. A. verantworten Martin Baumeister, Michael Preidel und der Chefredakteur Benjamin Viertelhaus das neue Heft, von dem 850 Exemplare gedruckt wurden. Preis: 6 Euro. Schönes Titelbild; und wie jede Ausgabe ist auch Architektur sehr sorgfältig gemacht. Die Illustrationen sind in Schwarz-Weiß: Comics und ganzseitige Zeichnungen. Es sind 114 Seiten mit teils recht schwierigen Texten. Ich lese ja gern, aber habe derzeit viele Sachen im Kopf, also nahm ich mir für das Heft eine Stunde vor (nahm es mir eine Stunde vor), um dann eine Stunde darüber zu schreiben. Ich bin ja nicht das Feuilleton der FAZ. 

Gut, damals um 1990 hatte ich mich bei dpa über Architektur verbreitet, vielleicht aus dem Wunsch nach etwas Konkretem heraus; um ernst genommen zu werden? Was weiß ich. Man schreibt immer aus einem Ort in seiner persönlichen Zeit heraus. Mein Interesse für Architektur ist nun geringer, das an Theorie und abseitigen Assoziationen unverändert stark, aber ich will blitzartig überzeugt werden und nicht gezwungen sein, komplizierte Satzungetüme auslegen und entschlüsseln zu müssen. 

Die Sprache ist das Problem, und so las ich auch den vielleicht interessantesten Text, »Der Tempel, der heilig macht?« von Stefan Bürger nur so halb und quer und dachte mit Rührung an Henry Corbin und sein Buch Temple et Contemplation. Der hat nicht so etwas geschrieben wie: »Das anaphorische Moment der parataktischen Anbetungs-Kaisergruppen-Konstellation wird zur übersteigerten Sinnkonstitution nach oben hin fortgeführt.« 

Der Lärmhasser Frisch 

Da sind große Spezialisten tätig, die dann erst langwierig ihr Gebiet vorstellen müssen, und wenn es dann um das Verhältnis zwischen Raum, Körper und psychischer Störung in Gerhard Roths Der große Horizont und Alain Robbe-Grillets La Jalousie geht, die ich beide nicht kenne, dann ist das für mich wie ein Tasten im Nebel, auch wenn Handlung und Details genau dargestellt werden. Das spricht nicht richtig, und es spricht natürlich auch selten Schreiben über Musik oder Bilder und Bauten.  

Aber bleiben wir positiv: Sehr gut gefallen hat mir, was Lena Christolova über den Film Inception von Christopher Nolan (2010) schrieb, was auch daran liegt, dass ich den Film kenne und schätze. Auch Max Frisch schätze ich, und darum las ich gierig Fabian Beers Aufsatz »Der alte Mann und die muntere Architektur der Postmoderne«. In meinem Beitrag über Frisch in der K. A. zu dessen 100. Geburtstag 2011 hatte ich schon erwähnt, dass er bei mir seine Sympathiewerte einbüßte, die nach der Lektüre von Beers Aufsatz vollends in den Keller sackten … denn der große Schweizer Autor soll als alter Mann im Zürcher Stadtteil Stadelhofen (in der Nähe seiner letzten Wohnung war ich erst vor vier Wochen, beim Sushi) regelmäßig »Ruhe!« geschrien und sogar Eimer mit Wasser auf Nachtschwärmer herabgekippt haben. Und er war kein Theoretiker, eher ein kluger Zuspitzer – mit seiner These von der gescheiterten Aufklärung etwa. Der Roman Stiller aber ist gut.   

Die Bilderfolge »Die Stadt klingt« von Ester Vanhoutte ist super, da wird man sensibilisiert für ungewöhnliche Geräusche im Raum der Stadt. Fünf Seiten Interview mit dem Schriftsteller Sven Hillenkamp sind etwas lang. Frage: »Man merkt den Texten eine Neigung zum Parabolischen an …« Antwort: »Das rührt vermutlich von der gedanklichen Zuspitzung her. Im Gegensatz zur Parabel sind die Texte jedoch nicht symbolisch, müssen nicht auf das reale Leben übertragen werden, sondern sind selbst schon Erfahrungskonzentrate.« Darüber will man nicht nachdenken müssen.  

Die Kritische Ausgabe liebt das Konzentrat, das leider eine Menge Konzentration verlangt. Ein wenig Dekonstruktivismus wäre da wünschenswert.            

 

 

 

 

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