Die Agenda Monti für Italien

Mario Monti zieht nun doch in den Kampf und würde nach der Italien-Wahl vom 24. Februar das Land gern weiter regieren. Der unerschrockene Ritter hat seine Agenda per un impegno comune vorgelegt, für ein gemeinsames Werk. Sie hat 25 Seiten und trägt den Untertitel Italien verändern, Europa reformieren. Cambiare Italia − geht das denn?

 

Dunkle Wolken über dem See. (Bild: Helmut Krämer)

Es muss gehen, wenn Italien nicht untergehen soll. Montis Thesenpapier ist vom 23. Dezember, vom Tag vor Heiligabend, und ich will es referieren.  

»Die Krise hat Europas Integration in einem Maße beschleunigt, wie es vor wenigen Jahren noch unvorstellbar schien. In den kommenden Jahren werden die für die Zukunft entscheidenden Seiten Europas geschrieben werden. Italien muss sich für ein Europa einsetzen, das mehr gemeinschaftlich sein soll, einheitlich und nicht eines der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, demokratischer und weniger entfernt von seinen Bürgern.« Der letzte Satz ist fett gedruckt.   

Europa allein könne nicht das einzige Rezept für die Lösung der Probleme Italiens sein. Um in Europa zu zählen, helfe es nicht, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Wenn man die anderen nicht überzeugen könne, bleibe man vielleicht mit einer »Faust voll Fliegen« zurück. Man müsse glaubwürdig sein und seine Wirtschaftskraft realistisch einschätzen können.  

Italien müsse Disziplin bei den öffentlichen Ausgaben geloben und sich am Wohl ganz Europas orientieren. Italien habe seine Position auf dem globalen Schachbrett der Macht ausbauen können. Es müsse aber seinen Blick auch auf die in Entwicklung befindlichen Länder lenken und Armut und Hunger abschaffen helfen.  

»Wachstum erreicht man nur auf der Basis gesunder öffentlicher Finanzen. Italien ist mit 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, und die Schuldentilgung kostet das Land jährlich 75 Milliarden Euro. Man muss das Wachstum da suchen, wo es liegt: bei den Innovationen, in einer höheren Produktivität, bei einer Vermeidung von Verschwendung.« 

Die fiskale Anpassung in Italien, ermöglicht durch das Opfer so vieler Bürger, habe im Jahr 2012 eine Wende eingeleitet. Man müsse die Steuerlast für Arbeit und Unternehmen senken. Es müssten Mechanismen gefunden werden, um Reichtum objektiv zu klassifizieren und die Steuerflucht zu verhindern. Das Steuersystem sei zu vereinfachen. 

»Wenn man die Ausgaben nicht eindämmen kann, wird dieses Land nicht durchstarten können. Eine Reform der Ausgaben bedeutet nicht, weniger auszugeben, sondern besser auszugeben.« Immerhin seien 12 Milliarden Euro eingespart worden: Managerlöhne im öffentlichen Sektor wurden gekürzt, die Dienstwagenflotte abgeschafft. Eine schlankere, effizientere und transparente öffentliche Verwaltung sei nötig. In den ersten 100 Tagen solle die Regierung 100 Verwaltungsakte abschaffen oder wenigstens vereinfachen. Die Verschwendung von Geldern aus dem europäischen Strukturfonds: ein Skandal.  

Liberalisierungen seien integraler Bestandteil einer Politik, die den Konsumenten und Bürger in den Mittelpunkt rücke. Man müsse Blockaden und Prozeduren lockern, die den Handel lähmten. »Wir sind noch weit von der industriellen Wertschöpfung entfernt, wie wir sie vor 2008 hatten. Wir müssen mehr für Innovationen und die Forschung investieren, müssen leichter Zugang zu Krediten gewähren.« Energie müsse billiger werden.   

»Wir müssen das Land wieder für ausländisches Kapital öffnen.« In den vergangenen zehn Jahren habe Italien 30 Prozent auf dem Welthandel eingebüßt. Die Kosten für den Export und die Hürden für Investitionen aus dem Ausland, wo Italien auf dem letzten Platz in Europa stehe, seien zu verringern. 50 Milliarden Euro könnten Italien jedes Jahr zufließen.  

Italien habe zu viele Schulabbrecher (18 Prozent) und zu wenige Universitätsabsolventen, und die Leistungen der Schüler überzeugten nicht. Autonomie und Verantwortlichkeit für die Lehrer, deren Rolle endlich richtig gewürdigt werden müsse! In das Humankapital investieren.  

L’Italia 2.0: Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Das grüne Wirtschaften solle Teil des Gesamtsystems werden. Nachfrage nach Bioprodukten erzeugen, die illegalen Müllkippen abschaffen, den Verbrauch an Gesamtfläche für die Agrarproduktion einfrieren. Einen allgemeinen Wasserverwaltungsplan für das ganze Land. Die Bauern im Fall einer Krise schützen. 

»Die kulturellen Reichtümer Italiens suchen in der Welt ihresgleichen.« Eine public/private partnership könnte neue finanzielle Ressourcen für Projekte auftun, die Geld brauchen (Pompei braucht immer Geld). Es gebe auch zu viele Entscheidungsinstanzen im Tourismus; man brauche eine bessere Koordinierung.  

Beim Arbeitsmarkt sei der eingeschlagene Weg richtig. Man könne nicht mehr zurück. Zudem brauche es eine drastische Vereinfachung des Arbeitsrechts. Die Arbeitslosenquote liege bei 11 Prozent. Nötig sei ein Piano occupazione giovanile, ein Plan zur Beschäftigung von Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Auch den Eintritt von über 55-Jährigen in die Arbeitswelt müsse man fördern.  

Die Frauen seien wichtig. Wenn 60 Prozent der Frauen arbeiten würden, wie im Vertrag von Lissabon festgelegt, würde das italienische Bruttoinlandsprodukt um 7 Prozent steigen. »Die Frauen wollen, müssen und können heute mehr zählen.« Wichtig seien weniger Steuern auf die Löhne der Frauen, außerdem müsse man Beruf und Familie gesetzlich besser vereinen, etwa Vaterschafts-Urlaube gewähren.  

»Der Sozialstaat ist das Herz des sozialen Modells Europa.« Man solle das Netz der häuslichen Versorgung für Kranke und Behinderte ausbauen und auch freiwillige Arbeit mehr schätzen und heranziehen. Die regionalen sozialen Hilfsangebote müssten gestärkt werden. Obendrein sei zu untersuchen, wie man ein minimales Grundeinkommen (reddito di sostenamento minimo) bewerkstelligen könne, deren Bezieher verpflichtet wären, Fortbildungskurse zu belegen, um sich für die Arbeitswelt zu qualifizieren.     

Tausende junge Menschen verließen jedes Jahr das Land. Um ein gerechteres und moderneres Land zu gestalten, müssse man begabten Menschen Möglichkeiten bieten. Italien habe die geringste Quote sozialer Mobilität in Europa sowie die größte Konzentration von Reichtümern.  Eine offene Gesellschaft bedeute, dass Posten verhandelbar seien und nicht auf Lebenszeit vergeben. Die Laufbahnen im Gesundheitswesen und in der Verwaltrung sollten transparent gestaltet werden, wie es in einigen Sektoren schon geschehen ist. »Verdienst und Produktivität müssen die wichtigsten Elemente bei der Beurteilung der Arbeitsleistung in der öffentlichen Verwaltung sein.«  

Cambiare mentalità, cambiare comportamenti: Das neue Wahlgesetz stehe noch aus.  Ein solidarischer und verantwortlicher Föderalismus sei anzustreben. Niemand spreche von den Schlangen der Lobbyisten vor den Toren des Parlaments, deren Aktivitäten reguliert werden müssten. Überhaupt: »È necessario parlare il linguaggio della verità.« Die Sprache der Wahrheit müsse man sprechen. Bilanzfälschung, Korruption und Geldwäsche müssten streng bestraft werden. »Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Mafias muss ohne Zögern weitergehen.« Die Prozeduren für Ausschreibungen müssten transparent werden und kontrollierbar.   

Ammerseevogel, Bild von Helmut Krämer

 

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Die Mentalität verändern, das Verhalten verändern. Ist das nicht wahnwitzig? Mario Monti will Italien umkrempeln, aber: Not kennt kein Gebot. Die früheren Regierungen haben eben so fortgewurstelt, und die kalte Wut könnte einen packen über die Berlusconi-Männer, die ihr Geld einstrichen und nur das Nötigste taten. Hier oben also die Zumutungen des Professors an die Italiener. Alle Defizite sind erwähnt, und es ist die Sprache der Wahrheit gesprochen worden. Nun sind, bald, die  Bürger des Landes am Zug.     

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