Eine Nacht in Mélisey
Achtung, ein Fahrradbeitrag! War gar nicht so geplant. Vergangenen Donnerstag sollte es schön sein und so bleiben bis Sonntagmorgen; dann Gewitter (Es kam dann schon Samstagabend, und seit einer Stunde war ich daheim!) Ich wollte eine Drei-Tage-Runde durch die Vogesen fahren und mal wieder im Zelt schlafen. Schönes Wetter ist eine Beschönigung: Es hatte bis zu 37 Grad, aber das ist mein Wetter, das kann ich ab. Zweite Nacht in Mélisey, da gab es Campingplätze, wie ich gelesen hatte. Mélisey, quelle surprise (welche Überraschung)!
Alles flach und gemütlich bis hinter Colmar: St. Dié, mein ursprüngliches Ziel, lag zu weit ab, also Gerardmer, vor welcher Stadt sich jedoch der Col de la Schlucht aufbaut, 1139 Meter hoch. Um 13 Uhr verließ ich den Schatten des Supermarkts, gegen 15.30 Uhr war ich oben. Das macht für die 12 Kilometer einen Schnitt von 5 Kilometer pro Stunde, da ist ja ein Wanderer fast schneller! Doch es war heiß, und mit Gepäck war ich lange nicht mehr einen Pass gefahren. Meine Gesäßmuskeln schmerzten. Glücklich einen Platz auf einem Zeltplatz ergattert, und am nächsten Tag ging es gleich wieder hoch auf 955 Meter, wieder leicht hinunter und dann zum Col des Croix, 678 Meter. Um halb zwei bei 37 Grad ist das leicht quälend, aber dann meldete ein Schild: Snackbar in 300 Meter. Ja, der erste lange Schluck eines kühlen Biers bei knallheißem Wetter, das ist paradiesisch.
Hinunter und bis nach Mélisey (liegt nördlich von Belfort), wo gleich der Campingplatz Herz und Freundschaft mich aufnahm, für 6,80 Euro die Nacht. Ich bekam einen Schattenplatz hinter fünf dichten zypressenartigen Bäumen. 100 Meter weiter fing der Ort an, verheißungsvoll mit dem Restaurant de la Mairie. Ein großes kühles Bier, wiederum fühlt der Bayer sich dem Himmel nah.
Vom Restaurant sah man weit die Hauptstraße hinunter, über der an Schnüren kleine Nachbildungen von Tour-de-France-Trikots hingen. Da hätte ich mir was denken können. Am Abend aß ich da Lachs, sofort war ich zu Hause. Von meinem Zelt aus konnte ich ein paar Kreuze des Friedhofs sehen, der völlig verwahrlost war und chaotisch, aber was soll’s, alle ausgeflogen, die Seelen sind längst nicht mehr hier. Am Samstagmorgen, kurz vor der geplanten Rückfahrt, trank ich in meinem Restaurant noch rasch einen Kaffee und stellte endlich die entscheidende Frage: »Was bedeuten die kleinen über die Straße gespannten Trikots?« Da leuchteten die Augen des Besitzers auf, und er sprach: »Am 19. September kommt die Tour de France durch Mélisey. Von Lure geht es zur Planche des Belles Filles.«
Am Ortsausgang hing ein Schild Merci Thibault! Ich hörte von Thibault Pinot, 30 Jahre alt, der 2014 Dritter bei der Tour war. Wie toll muss es am 19. September sein, im Restaurant zu sitzen und die Fahrer die Straße hochfliegen zu sehen, zischzusch vorbei und weiter zur »Planke der schönen Mädchen«. Dorthin, auf 1148 Meter Höhe mit einer Endsteigung von 20 Prozent (sagte einer, wollen wir ihm mal glauben), sollen im Dreißigjährigen Krieg Mädchen vor den schwedischen Söldnern geflohen und in einen Teich (und in den Tod) gesprungen sein.
Vergangenes Jahr hatte ich den Start der Etappe in Mulhouse miterlebt, die gleichfalls auf die Planche des Belles Filles führen sollte, zum vierten Mal. Und nun war ich nach Mélisey geführt worden. ohne zu wissen, dass der Ort die Tour-Profis sehen würde. Es muss die magnetische Anziehung des Radsports sein, und man stelle sich vor, ich hätte (wie damals Parzifal) die Frage nicht gestellt! Wäre auch nichts passiert, aber es hätte auch nicht passieren können, dass ich die Frage nicht gestellt hätte; es musste einfach sein, und ich freute mich. Nun noch ein paar Bilder vom Fahrrad dort drüben in Frankreichs Osten, 120 Kilometer von mir entfernt im Westen liegend. Die Franzosen lieben das Rad, und wieviele Rennradler haben mich, den Mann mit Gepäck, gegrüßt und im Vorbeifahren Courage! (Mut) zugerufen! Das erwärmt das Herz.