Vermählung und Folgen
Noch ein Stücklein von Jerzy Wittlin, den manipogo gestern im Programm hatte. Wieder ist das ein Musterbrief, Nr. 2, mit dem Titel Ein Sohn zeigt den Eltern seine Vermählung an. Dazu muss man nicht viel sagen; gehandelt muss werden, und rasch. Auch hier bedeutende Informationen, lässig nach und vor der Unterwäsche präsentiert. Alles easy, Leute!
Liebe Eltern!
Als ich kürzlich wegen der sauberen Unterwäsche schrieb, habe ich ganz vergessen, euch noch etws anderes mitzuteilen — bei meinem Studium kommt jetzt so viel zusammen, dass mich mein Gedächtnis im Stich lässt. Nun muss ich es aber schreiben: Ich habe nämlich geheiratet, und in diesem Zusammenhang ergibt sich ein Problem. Meine Frau soll in den nächsten Tagen niederkommen, und wir wissen nicht, wohin mit dem Kind. Im Studentenwohnheim geht es nicht, und ihre Eltern — ich kenne sie nich nicht, aber sie sagte es mir — haben keinen Platz. Daher haben wir beschlossen, das Kind gleich nach der Geburt euch zur Erziehung zu übergeben, bis wir mit dem Studium fertig sind und irgendwo Fuß gefasst haben. Das Kleine wird es bei euch bestimmt gut haben, da bin ich ganz beruhigt, und meine Frau ist es auch.
In sechs, sieben Jahren, wenn wir uns eingerichtet haben, nehmen wir das Kind dann zu uns, und inzwischen wächst es unter guten Bedingungen heran, die ihr ihm ganz bestimmt verschafft. Das sind also vorläufig nur zwei Überraschungen. Denkt an die saubere Unterwäsche.
Es küsst euch
Euer Sohn.
P.S. Meine Frau heißt Rozalia und ist überhaupt ganz nett. Sie lässt auch herzlich grüßen.
P.S. Ich habe es gestern nicht mehr geschafft, den Brief abzuschicken. Inzwischen ist nun heute nacht schon euer Enkel geboren. Liebe Mama, hole ihn bitte gleich ab, der Aufenthalt in der Klinik ist sehr begrenzt.
P.S. schrieb man früher, als man noch Briefe schrieb, unter den Text, falls einem noch etwas eingefallen war. P. S. heißt post scriptum, also nach dem Text und ist eine Art Anhang. Im P. S. verbergen sich oft die ganz wichtigen Sachen, so wie auch Sigmund Freud beobachtete, dass seine Patienten die entscheidenden Informationen erst beim Weggehen zurückließen, auf der Türschwelle: die sogenannten Schwellenbotschaften.