Die Jungfrau der Welt

Koré Kosmou, die Jungfrau der Welt, ist ein Fragment von Hermes Mercurius Trismegistus — eine Erzählung von der Entstehung der Welt, selbst entstanden im 1. Jahrhundert. Wenn ich die Einleitung zu Virgin of the World von Anna Kinsford lese, bekomme ich eine Ahnung davon, wie reichhaltig und tief die Mythologie der alten Griechen war, die auf die Götterwelt der Ägypter aufbaute. Das alles verschwand allmählich, und das Christentum bediente sich an dem Material und legte uns ein lachhaftes Märchen vor, das im Vergleich zum Glauben der Griechen und Ägypter primitiv anmutet.

Die Götter der Griechen oder Ägypter waren ja spezialisiert und ihrem Chef (Zeus oder dem Sonnengott Ra) untergeordnet wie Minister dem Chef des Kabinetts, dem Ministerpräsidenten. Die vielen Erzählungen, von Humor getränkt, sind voller Anspielungen und Weisheiten. Jedenfalls erzählt in dem Text Jungfrau der Welt Isis ihrem Sohn Horus, wie die Welt entstanden sei. Alles war da, lag aber reglos herum. Hermes, der Weise, bittet den Schöpfer, etwas zu tun.

Dazu lächelte Er großmütig und befahl der Natur, zu existieren.  Und mit seiner Stimme erschien das WEIBLICHE in ihrer perfekten Form. Alle Götter waren bezaubert.

Das Weibliche bringt die Schöpfung ins Leben. Irgendwann werden die Seelen geschaffen, und als sie erfahren, dass sie sich in einen Körper kleiden müssen, weinen und wehklagen sie, denn nun müssen sie weg von Gottes Gegenwart. Die Bekleidung mit einem Körper ist nützlich, die Seele kann mit ihm (wie mit einem Fahrzeug) Erfahrungen machen. Der Gewinn ist auch ein Verlust: die Vertreibung aus dem Paradies, wie der Sündenfall, für den Eva verantwortlich sein soll; die Gegenbewegung ist der Aufstieg in den Himmel, durch das Ave im Ave Maria bezeichnet (Eva/Ave).

In der griechischen Mythologie steht Persephone — die Tochter von Zeus (Himmel) und der Erdgöttin Demeter — für die Seele, die immer jungfräulich ist, auch wenn sie in einem sündigen Körper steckt. Dem Geist entspricht Dionysos, der Rauschhafte. Die Geschichte vom Sündenfall (oder der Erwerbung von Karma) bei den Griechen: Persephone wird von Pluto geraubt und in den Hades gesteckt, in die Unterwelt.

Die Seele ist dauernd unterwegs, neigt aber auch zum Herumhängen. Das Wasser ist ihr Element (Maria, das Meer, il mare, also das Gefühl, das Tiefe, Schwere; zum Geist gehört die Luft). Im trüben Wasser hält sie sich gern auf. Jemand muss ihr klarmachen, was in ihr steckt: dass sie den Aufstieg in den Himmel vor sich hat. Wir bestehen vermutlich aus Geist (Element Luft) und Seele (Wasser), ersteres handelt und fährt herum und ist logisch, letztere ist gefühlvoll und schwermütig. Die beiden müssen zusammenbleiben. Oder der Erlöser (Dionysos bei den Griechen, Osiris bei den Ägyptern, Jesus bei den Christen) muss die arme Seele mit dem zu ihr gehörenden Geist zusammenbringen. Der Aufstieg der Seele aus dem irdischen Jammertal ist das Ziel.

 

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