Bei einem Wirte wundermild

Mitte Ende August, ich erinnere mich, hingen die Thurgauer Bäume voller Äpfel, und an ihnen vorbei sah ich hinunter auf den Bodensee. Es war eine Pracht. Nicht umsonst heißt der Kanton Thurgau »Mostindien«, denn überall wird Apfelmost gepresst. Ältere Semester kennen alle das Gedicht Einkehr, 1811 von dem Schwaben Ludwig Uhland (1787-1862) zu Papier gebracht.

Murnau__Kottmuellerallee_3004257Einkehr

Bei einem Wirte, wundermild,
da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
an einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
viel leichtbeschwingte Gäste:
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das Beste.

Ich fand ein Bett in süßer Ruh,
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt er den Wipfel,
Gesegnet sei er allezeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel!

baumpanorama

 

Hermann Hesse lebte ziemlich genau ein Jahrhundert später, von 1877 bis 1962. Sein Aufsatz Bäume fängt so an, schön schwelgerisch und bedeutend, wie man früher schrieb:

Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben, sondern wie große vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen. Nichts ist heiliger, nichts ist voribldlicher als ein schöner, starker Baum. 

Und dann noch, da die große Hitze langsam verweht, ein großes Gedicht Hesses, dem Literatur-Nobelpreisträger von 1946 (man bedenke, so kurz nach dem Krieg, ein Deutscher!), das Hundstage heißt, passend für den morgigen Tag Ferragosto.

031Wie nun am dürren Ginsterhang,
Im braunen Stein, im goldnen Staub,
Im gilbenden Akazienlaub
Der Sommer seinen Überschwang
Austobt und in sich selbst verbrennt!
Aus dürrer Schote knistern schwarze Kerne,
Und abends hängen schwer die Sterne
Wie überreif am Firmament,
Das wie ein Puls im Fieber pocht
Und von verhaltnen Wettern kocht.
Wo eben noch in frohen Schauern
Das Leben feucht und spielend rann,
SDC10389Keucht Sommer wütend hügelan
Der Höhe zu. Er will nicht dauern,
Er lechzt nach Rausch und Opferglück,
Ihn rief der Tod: auf hagrem Pferde
Jagt er voran und lässt die Erde
Erschöpft, verblüht, verbrannt zurück.

Und seufzend reckt sich Laub und Gras
Und raschelt hart und klirrt wie Glas.

 

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