Erhebet die Herzen!
»Erhebet die Herzen!« spricht der Priester in der katholischen Messe, und die Gläubigen antworten: »Wir haben sie beim Herrn.« — Priester: »Lasset uns danken dem Herrn, unserm Gott.« — Gemeinde: »Das ist würdig und recht.« Diese Akklamationen (Ausrufe) leiten das Hochgebet ein, den Lob Gottes, und sind seit dem 3. Jahrhundert unverändert. Der Dominikanermönch und Mystiker Heinrich Seuse (1295-1366) hatte sich den Spruch sursum corda (Empor die Herzen!) zu eigen gemacht. Er wollte ganz hoch hinaus.
Wer sein Herz der Gottheit entgegenstreckt und sich in Ihm/Ihr verlieren möchte, muss mutig sein und alles zurücklassen, da ein neues Leben beginnen soll. Dazu gehören die erhabenen Gedanken und die erhebende Musik. Die Seele, die sich mit schönen Dingen beschäftigt, steigt auf und schwingt rascher; diejenige, die am Materiellen klebt, sinkt tiefer. Die Entsprechung im Irdischen wäre, zu den Spitzen der Gesellschaft gehören zu wollen, einen hohen Posten zu erobern.
Heinrich Seuse aus Überlingen am Bodensee kasteite sich, betrieb gnadenlos Askese, um sein Ich abzutöten: usgen des sinen nannte er das, also das Aufhören des Eigenen. Dazu fällt mir der (spätere) Spruch von Swedenborg ein, den er von den Engeln gelernt hat: »Der Himmel ist, von dem Eigenen abgehalten zu werden.« Das ist auch der Weg des Buddhisten, der nicht in einen Himmel will, sondern dem Rad der Wiedergeburt entrinnen. Auch er will sein Ego von sich abwerfen.
Auf diesen Seuse kam ich durch einige Seiten von Martin Walser über ihn in dem Buch Heimatlob (1978) über den Bodensee. Seuse habe Demütigungen begrüßt und Leiden als willkommene Erfahrung bezeichnet. Er war der perfekte Schmerzensmann, als habe er Christus folgen wollen. Das heißt noch nicht, ohne Ego zu sein; damit steckt man noch drin im System. Der Buddhist will darüber hinaus sein, etwa nach dem Wienerischen Wahlspruch: »Net amoi ignorier’n!«
Seuse schrieb besessen und schwang sich in seiner Sprache auch empor, wie es ja im gestrigen Beitrag Robert Musil bewies. Man muss, um ganz abzudriften und schwerelos zu werden, zu einer neuen Sprache finden. Mystik hat es schwer, ihre Erfahrungen in Worte zu fassen; die Leute, die eine Nahtod-Erfahrung machten, sagten über die Seligkeit dort: Es gibt keine Worte dafür.