Wiegenlied fürs Christkind
Hat mich gefreut, dass es im November 2000 Abrufe für ein paar Gedichte von Lope de Vega (1562-1635) gab. Ich hatte schon vorgehabt, sein Wiegenlied für das Christkind und sein Weihnachtslied zu verwenden, die wieder volksliedhaft und schlicht geschrieben sind. Hier kommen sie, übersetzt von Erwin Walter Palm.
Wiegenlied für das Christkind
Die ihr durch die Palmen fliegt,
heilige Engel,
mein Kindchen schläft,
seid still mit den Zweigen.
Ihr Palmen in Bethlehem,
die ihr im zornigen
Wind euch biegt
und so scharf raschelt,
macht keinen Lärm
und lächelt leise,
mein Kindchen schläft,
seid still mit den Zweigen.
Das göttliche Kind
ist so sehr müde
vom Weinen auf Erden
um Trost zu finden.
Es will ein Weilchen
vergessen zu weinen.
Mein Kindchen schläft,
seid still mit den Zweigen.
Strenges Eis
ist allüberall.
Ihr könnt es ja sehn,
ich habe nichts
es zuzudecken.
Ihr Engel, die ihr geflogen kommt,
mein Kindchen schläft,
seid still mit den Zweigen.
Das ist ein eingängiger Refrain, der im Original auch kursiv gesetzt ist. Die zweite Zeile lautet im Spanischen tened los ramos, also: Haltet die Zweige fest (damit sie nicht rascheln). Im dritten Vers haben wir ein Problem, das nicht optimal gelöst ist. Er fängt an mit El Niño divino, / que està cansado /de llorar en la tierra / por su descanso, /sosegar quiere un poco / del tierno llanto. Das göttliche Kind ist müde vom Weinen (von seinem eigenen Weinen, denke ich; wäre das Weinen auf Erden gemeint, würde es heißen del llorar en la tierra). Das um Trost zu finden ergibt keinen Sinn; hier denke ich, dass vielleicht das Komma irrtümlich gesetzt wurde, es müsste eher nach tierra kommen, denn descanso bedeutet Ruhe oder Erholung, und dann hätten wir:
Das göttliche Kind / ist müde vom Weinen / hier auf der Erde, / zu seiner Erholung / will es ein Weilchen / das sanfte Weinen vergessen. Dieses sanft (tierno) ist wichtig (tierno llanto), es kommt im verwandten Weihnachtslied wieder und wird da auf Gott angewandt.
Weihnachtslied
Ihr blühenden Morgen
im kalten Winter,
denkt an mein Kindchen,
es schlummert im Eis.
Glückliche Morgen
im kalten Dezember,
auch wenn die Himmel
euch Rosen borgen.
Ihr seid so streng,
und Gott ist so zart.
Denkt an mein Kindchen,
es schlummert im Eis.
In beiden Gedichten haben wir das Gegensatzpaar streng / sanft. Im ersten ist das Weinen sanft und das Eis streng (rigorosos hielos), im zweiten heißt es pues sois rigorosas y Dios es tierno. Gott ist sanft, ihr seid streng, und rigoros kennen wir in unserer Sprache auch. Rigoros sein, das wollen die Deutschen immer, das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet starr (Rigor mortis: die Totenstarre). Lope de Vega kannte die Menschen, die vor 400 Jahren nicht anders waren als heute, zumal die Spanier, die man gerne streng nennt. Stolz sind sie, katholisch und kämpferisch bis zum Untergang. Viva la muerte! (Es lebe der Tod!)
Die Liebe hat damit nichts zu schaffen. Wir müssen die Armen und Schwachen immer beschützen und für sie eintreten, der erste Impuls sagt es uns; doch wenn wir den Verstand und das Kalkül einsetzen, wenn also Nachgedanken und Hintergedanken sich in den Vordergrund schieben, wird unser Impuls schnell verzerrt, und wir verraten die Liebe, die keine Kompromisse kennt und keine Konditionen.
Die Liebe ist langmütig,
die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht,
sie prahlt nicht,
sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig,
sucht nicht ihren Vorteil,
läst sich nicht zum Zorn reizen,
trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht,
sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles,
glaubt alles,
hofft alles,
hält allem stand.
Paulus im ersten Korintherbrief, 13,4-7.