Flugverkehr (111): Der große Vogel als Bote
Mein Lieblingsgedicht von Derek Walcott wurde schon zwei Mal erwähnt, und den Anfang zitierte ich diesen Sommer zum Josefstag, den zweiten Teil in einem Beitrag vor fünf Jahren über Reiher. Nun soll dem Gedicht endlich die verdiente Ehre erfahren: Es soll zur Gänze erscheinen, erst auf Englisch, dann in der Übersetzung, und hinterher taucht wieder ein Reiher auf, diesmal als Bote der Toten, darum: weiterlesen bis zum Schluss!
VIII
We were by the pool of a friend’s house in St. Croix
and Joseph and I were talking; he stopped the talk,
on that visit I had hoped he would enjoy,
to point out, with a gasp, not still or stalking
but fixed in the great fruit tree, a sight that shook him
»like something out of Bosch«, he said. The huge bird was
suddenly there, perhaps the same one that took him,
a sepulchral egret or heron; the unutterable word was
always with us, like Emmaus, a third companion
and what got him, who loved snow, what brought it on,
was that the bird was such a spectral white.
Now when at noon or evening on the lawn
the egrets soar together in noiseless flight
or tack, like a regatta, the sea-green grass,
they are seraphic souls like Joseph was.
Wir waren am Pool von Freunden in St. Croix,
und Joseph und ich redeten; er verstummte,
und ich hatte so gehofft, dass er den Besuch genießt,
und deutete mit Verblüffung auf ein Ding,
fixiert im großen Früchtebaum; der Anblick schreckte ihn,
»fast wie bei Bosch«, sagte er. Der große Vogel war
plötzlich da, vielleicht derselbe, der ihn später holte,
ein Grabes-Reiher, und unausgesprochen war das
Wort bei uns, wie schon in Emmaus, ein dritter Mann,
und was ihn, der Schnee so liebte, einnahm und verstörte,
war, dass der Vogel weiß war, ja gespenstisch weiß.
Wenn nun an Mittag oder gegen Abend auf dem Rasen
die Reiher sich erheben zu ihrem lautlosen Flug
und wie eine Regatta das meeresgrüne Gras berühren,
so wirken sie wie engelsgleiche Seelen, wie Joseph eine war.
Ich habe es mal selber übersetzt, ohne auf die Version von Werner von Koppenfels auf der rechten Seite des Buches zu schauen. Muss man etwas erläutern? Hieronymus Bosch (1450-1516) malte grässliche Monster und Szenen vom Aufstieg in den Himmel. Emmaus, damit ist der Spaziergang von zwei Jüngern am Ostermontag gemeint, als sich ein dritter Mann ihnen anschließt, unbekannt, der sich aber dann als ihr Meister entpuppt.
Jetzt aber die wichtige Geschichte:
Im Sommer 2013 sprach die norwegische Moderatorin Jannecke für ihre Sendung Wisdom from North mit Bonnie McEneaney, der ich einmal einen Beitrag gewidmet hatte. Sie schrieb das Buch Messages über Kontakte mit Verstorbenen, die beim Terroranschlag am 9. September 2001 auf das World Trade Center in New York ihr Leben verloren hatten. Ihr Mann war unter den Opfern. Am Tag nach dem Geschehen, schilderte sie, sei sie vors Haus gegangen und habe geschrien: »Wo bist du?« Da habe die Krone eines Baumes geschwankt, weil eine Brise hindurchging, und dann sah sie den Wind, er strich durchs Gras — der Wind hatte sozusagen Ränder, sagte sie — und fasste ihr Kleid und spielte etwas damit. Das sei für sie ein Zeichen gewesen.
Jannecke spricht sie auf ein Erlebnis mit einem Vogel an, und Bonnie erzählt. (Ihr könnt das im Video ab Minute 17:32 finden; die Stelle endet bei 18:42), und auch sie spricht — wie in Zeile 6 des Walcott-Gedichts — von »a huge bird«, einem großen Vogel. Sie habe im Februar 2002 (also 5 Monate nach dem Anschlag) an einem sehr kalten Tag an einem Treffen teilgenommen, als plötzlich der Pastor ihrer Gemeinde aufgetaucht sei und gesagt habe, die Überreste ihres Mannes seien gefunden worden. Er nahm sie im Wagen mit, bog aber spontan und scharf in einen Weg ein, der zum Friedhof der Gemeinde führte. Der Pastor bremste, und, so Bonnie,
genau in diesem Augenblick kam dieser große Vogel aus dem Nichts und landete vor unserem Wagen, und es war ein blauer Reiher, ein Kanadareiher, der typischerweise in wärmeren Klimazonen daheim ist; es war sehr ungewöhnlich, dass dieser große Vogel jetzt im Winter hier sein sollte, und ungewöhnlich war es auch aus einem weiteren Grund: weil mein Mann, mein Vater und ich etwas mit ihm verbanden. Meine Eltern lebten in Florida und hatten jeden Morgen einen Kanadareiher zu Besuch, mit dem sich mein Vater regelrecht anfreundete, und einmal an Weihnachten schenkte ihm mein Mann eine große gläserne Nachbildung des Vogels. Auch deshalb war es für mich ein Zeichen, aber Signale musst du interpretieren, und viele Leute bekommen Zeichen, sehen sie aber nicht.
Ich habe bestimmt schon über Tiere als Boten von Verstorbenen geschrieben, und dieser Fall zeigt, dass das Tier eine Bedeutung hat. Es war ganz konkret da; wie es in Marsch gesetzt wurde, wissen wir nicht, aber dass es möglich ist, wissen wir. Viele haben schon Vögel oder Schmetterlinge auffallend nah an einem Grab beim Begräbnis gesehen, und man spürt selber, ob es irgendein Flattermann ist, der sich verirrt hat, oder ob es mehr bedeutet.
Kommendes Jahr will ich viel Material aus meinem Manuskript »Liebe über den Tod hinaus« verwenden, in dem es viele derartige Beispiele gibt. Und gestern hat manipogo die Schwelle von 500.000 Feeds überschritten, eine halbe Million! Allerdings klickt nur einer von zehn Abonnenten einmal im Monat einen Beitrag an. Das wissen wir, und trotzdem sind wir stolz.