Mein (wieder) grüner Kaktus
Ich bin Pflanzenfreund und kümmere mich um meine grünen Freunde. Sie gedeihen gut. Manchmal ersäuft eine, die auf dem Balkon zu lange stand; manchmal erfriert eine wie Ende November ein Geldbaum, den ich in Sichtweite im Garten aufgestellt hatte. Einen meiner beiden Kakteen jedoch, der todwund war, konnte ich retten. Meine Gedanken halfen ihm.
Im März 2017 hatte ich mich in Pont St. Esprit aufgehalten, und kurz vor meiner Abreise gab es einen schönen Marktsamstag. Direkt vor meinem Hotel (auf dem Bild links, auf der Straße) hatte sich ein Blumenstand aufgebaut, und ich erwarb für mich und für Bekannte sechs Mini-Kakteen, von denen jeder so groß (oder klein) war wie das erste Glied eines Zeigefingers. Zwei behielt ich für mich, und ohne große Pflege wuchsen sie heran, bis beide nach zwei Jahren so groß waren wie eine ausgestreckte Hand.
Ein Kaktus stand auf einer spanischen Truhe nahe am Eingang, die ganze Zeit über. Dann hatte ich vor drei Monaten den unseligen Einfall, ihn auf einen benachbarten Tisch zu stellen, damit er näher am Licht wäre. Und nach wenigen Tagen war er eingeschrumpelt und verkümmert, mehr braun als grün. Ein trauriges Bild war das. Ich stellte ihn auf seinen alten Platz, aber das half nichts mehr.
Es stimmt, Pflanzen brauchen ihren festen Platz. Auch Menschen. Es kommt vor, dass alte Menschen es nicht lange im Altenheim aushalten und schon im ersten Monat dort sterben. Irgendwo las ich, dass ein Drittel schon im ersten Monat stirbt, ein Drittel ein Jahr im Heim lebt und ein weiteres Drittel länger; der Durchschnitt beträgt vier Jahre. (Ich kann die Statistik aber nicht wiederfinden.) Mag sein, dass manche schon so krank sind, dass sie im Heim nicht lange überleben. Doch andere sehen sich aus ihrer heimischen Umgebung herausgerissen, fühlen sich alleine und verlieren die Hoffnung. Einen alten Baum verpflanzt man nicht, hieß es immer.
Ich wollte mich aber nicht geschlagen geben. Also postierte ich den Kaktus auf den Schreibtisch in Sichtweite und taufte ihn Paola, nach einer italienischen Freundin, mit der ich im Mai zum letzten Mal sprach. Danach war ihr Telefon abgemeldet und sie verschwunden. Ich denke mir: Geht es dem Kaktus gut, dann geht es ihr auch gut. Das ist ein magischer Gedanke, den man auch in Märchen findet.
Ich redete Paola gut zu und legte ihr die Hände auf, immer wieder. Wenn ich sie ansah, rief ich ihr zu: »Du schaffst es! Du kannst noch mehr!« Oder ich schenkte ihr einen lobenden, liebenden Gedanken. Und ein paar Wassertropfen bekam sie auch von Zeit zu Zeit.
Und sie erholte sich! Paola ist zwar längst nicht mehr so kräftig wie früher, aber wieder blassgrün mit weißen Streifen, und auch die Dornen leuchten weiß. Wie immer weiß man nicht, ob meine Fürsorge das war, ob mein Handauflegen half; vielleicht war der Platz gut, und die Sonne tat ein Übriges. Vielleicht half alles zusammen. Und jetzt gehen wir wieder zusammen ins neue Jahr; das heißt ich gehe, sie steht.