Der General

Buster Keaton (1895-1966) drehte 1926 den Stummfilm Der General, der als komödiantischer Klassiker gilt. Damals aber fiel der Film durch und spielte nur die Hälfte seiner Entstehungskosten ein. Buster wurde von seinem Studio degradiert und verlor seine Unabhängigkeit; sein Niedergang begann.  

OIP.xnlfjhbfNSocBNOEz-02iAHaEO35 Jahre später, 1962, wurde der Film neu in den größten deutschen Städten präsentiert, und der Hauptdarsteller war sogar vor Ort. Plötzlich sprach man von einem Meisterwerk. Es ist angesiedelt in den Jahren des US-amerikanischen Bürgerkriegs. Die Südstaaten hatten sich als Konföderation von den Vereinigten Staaten getrennt, das war eine Rebellion. Und der Norden wollte die Sklaverei abschaffen, die im Süden normal war. In den vier Jahren von 1861 bis 1865 kamen 600.000 Menschen um, und die Schlacht von Gettysburg entschied den Krieg, vor dessen Ende noch Präsident Abraham Lincoln erschossen wurde.

Buster Keaton ist Johnnie Gray, der auf seiner Lokomotive Der General arbeitet. Der Krieg bricht aus, und eine Gruppe von Nordstaatlern entführt einen Zug, um Truppen und Material gegen die Südstaatenarmee in Stelllung zu bringen. Johnnie verfolgt mit seinem General die Schurken. Die Verfolgungsjagd ist spannend, doch bei der Premiere 1927 spielte man den Film mit 16 Bildern pro Minute ab anstatt mit 24; das bringt natürlich die tollste Komödie zum Einschlafen. Der Held kann seine verehrte Annabelle Lee befreien, und gemeinsam stoppen sie die Eindringlinge, deren Lokomotive auf dem Höhepunkt des Films ihren Tiefpunkt erlebt: Sie stürzt von einer Brücke in den Fluss. Diese Aufnahme allein war, da eine echte Lok dran glauben musste, die teuerste der ganzen Stummfilmzeit und brachte die Filmfirma in Richtung Abgrund.

Das muss an die Geschichte um Heaven’s Gate von 1980 erinnern, den Michael Cimino (1939-2016) wie Buster Keaton mit ungeheurem Aufwand und Detailtreue drehte. Auch diesem düsteren Western (mit Kris Kristofferson und Isabelle Huppert) wurde später Genugtuung, doch von seinen 40 Millionen Dollar Kosten kamen zu Beginn nur 4 Millionen wieder herein. Ich erzählte davon für die Kritische Ausgabe plus, aber erst später erfuhr ich mehr. Man erzählt sich immer, der Film habe eine ganze Firma ruiniert, doch das stimmt nicht ganz; und eine voreingenommene Berichterstattung lenkte die Wahrnehmung, so dass der Film keine Chance hatte.

Einige Kritiker brachten nach der Uraufführung des General auch moralische Bedenken auf: Der Krieg eigne sich nicht für eine Komödie. Wenn man den Film sieht, kann man das nicht sagen; allerdings gibt es eine Szene während der Schlacht, die einem nicht gefallen kann: Von drei Mann einer Kanonenbesatzung fällt einer nach dem anderen tot um, erschossen; Buster ist perplex; dann zieht er seinen Degen, der sich unversehens vom Griff löst und den Angreifer erdolcht. Das ist witzig, aber der Gag fordert (im Film) vier Menschenleben, und irgendwie ist der Tod in der Komödie fragwürdig. Auch dass Johnnie ein Südstaatler ist, läuft gegen den Strich; das waren ja die Gegner der vereinten Staaten und Sklavenhalter.

Charlie Chaplin sagte nach seinem erfolgreichen Tonfilm Der große Diktator (1940), wenn er gewusst hätte, wie die Nationalsozialisten wüteten, er hätte den Film nicht drehen können. Es geht ja um einen jüdischen Barbier, der dem Diktator Hynkel ähnlich sieht und der am Ende in ein Konzentrationslager geschickt werden soll. Der Friseur entkommt und hält eine Rede auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit — als Hynkel. Wie schön, wie blauäugig, aber auch: wie fruchtlos! Wie machtlos sind Kunst und Moral gegen die Besessenheit der Macht! Das liegt jedoch am Menschen. Zu viele Bürger halten (und hielten) Macht, Autorität und Ordnung für wichtig und richtig, sie geben (gaben) dem Tod statt dem Leben den Vorzug.

 

 

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