Traumleben

Die ineinander verschachtelten Märchen der Tausendundein Nächte (alf layla wa-layla) können einen ganz schön verwirren, aber dann taucht eine Wendung auf, die die ganze Landschaft in ein fremdartiges Licht taucht, graurosa and diffus wie die Morgenröte. Das Leben als Traum, das Leben als Märchen schien die Botschaft, doch nun muss ich mich erklären …

Die Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn und Schems ed-Dîn erstreckt sich von der 21. bis zur 24.  Nacht und ist im Taschenbuch 65 Seiten lang. Die beiden sind Brüder und geloben sich, in derselben Nacht zu heiraten und dann — sollte einer einen Sohn und der andere eine Tochter bekommen — ihre Kinder einander zu vermählen. Das ist ja alles hypothetisch, doch sie geraten darüber in Streit, und es kommt zum Zerwürfnis. Nûr ed-Dîn reitet nach Basra, wo ein Wesir ihn schätzen lernt und ihm seine Tochter zur Frau gibt; sein Bruder heiratet in Kairo eine reiche Kaufmannstochter. Nûr ed-Dîn zeugt in Basra einen schönen Sohn, Bedr ed-Dîn Hasan, und Schems ed-Dîn in Kairo eine wunderhübsche Tochter, Sitt el-Husn.

So weit, so gut. Sohn Bedr wird als Nachfolger seines Vaters Wesir, doch nach dessen Tod trauert er nach Meinung des Sultans zu lange. Der Herrscher verliert die Geduld und verstößt ihn, lässt ihn verfolgen. In Kairo unterdessen erzürnt sich der dortige Sultan über Schems ed-Dîn und verordnet, dessen Tochter müsse einen buckligen Bettler heiraten. Den schönen Bedr klauben zwei rechtgläubige Dämonen auf (die Dschinns, nicht immer böse Wesen) und transportieren ihn nach Kairo, stecken den Bettler ins Klo, das früher Abtritt hieß, und die Ehe der beiden schönen Menschen wird vollzogen: Bedr und Sitt sind Mann und Frau. Der junge Ehemann geht noch kurz auf die Toilette, wo ihn die Dämonen abholen und mit ihm nach Damaskus fliegen, wo ein Koch ihn unter seine Fittiche nimmt und ihn seine Kunst lehrt. Seine Frau Sitt el-Husn bekommt währenddessen einen Sohn, Adschîb.

Nach 12 Jahren reist Wesir Schems ed-Dîn mit seinem Enkel nach Damaskus. Der mittlerweile kunstfertige Koch lernt seinen Sohn kennen, und nach endlosen Verwicklungen erkennt der Wesir, dass Bedr ed-Dîn Hasan sein Neffe ist, steckt ihn in eine Holzkiste, bringt ihn nach Kairo und richtet dort den Saal und das Brautgemach so her, wie sie zur Hochzeitsnacht ausgesehen hatten. Er legt Bedrs Kleider dorthin, wo sie damals gelegen hatten, und dort erwacht der Ehemann und wird von seiner Frau mit den Worten empfangen:

»O mein Geliebter, willst du nicht kommen? Du bist recht lange auf dem Abtritt geblieben.« Als er ihre Worte hörte und ihr Gesicht erblickte, brach er in Lachen aus und sagte: »Wahrlich, ich wandle in den Irrgängen von Träumen!«

2021-02-05-0003Wie lange er fortgewesen sei? Seine (immer noch junge) Frau antwortet: »Du bist gerade fortgegangen, um ein Geschäft zu verrichten, und wolltest gleich wiederkommen. Dein Verstand scheint abhanden gekommen zu sein.« Dann erzählt Bedr ihr seine Erlebnisse, und am nächsten Morgen eröffnet ihm der Wesir, sein Onkel, alle Hintergründe, und gemeinsam gehen sie zu Ihrer Majestät, dem Sultan, der entzückt ist von Bedr ed-Dîn Hasan el-Basri und ihn zu seinem Vertrauten macht mit 1000 Dirhem Einkünften im Monat.

So stieg nun Hasan el-Basri hoch in Ehren, und sein Ruhm verbreitete sich in vielen Ländern , und er blieb in aller Freude des Daseins und Ruhe des Lebens bei seinem Oheim und den Seinen, bis der Tod ihm nahte.

Ich glaube, das alles müssen wir erst einmal verdauen, bevor wir uns morgen dem Kern der Geschichte widmen.

 

 

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