Unter dem Garten

Dies hier schließt passgenau an den letzten Satz im gestrigen Beitrag an: William Blake und die blaue Blume. Der englische Dichter und Maler lebte von 1757 bis 1827, kannte also vermutlich die sinnreiche blaue Blume aus dem Roman Heinrich von Ofterdingen von Novalis (1800). Die ersehnte blaue Blume der Romantik! Doch wir denken an ein Objekt, das wir nach dem Traum konkret in Händen halten, darum geht’s.

Die Erzählung Unter dem Garten von Graham Greene ist perfekt dafür. Sie ist mit 55 Seiten ziemlich lang und eine der berühmtesten von Greene. Leider muss man da die Pointe verraten; wer also sich den Genuss der betreffenden Geschichte nicht nehmen lassen will, muss hier die Lektüre des manipogo-Beitrags abbrechen. Im Amerikanischen steht da, wie wir mittlerweile wissen: Spoiler Alert. (Warnung: Spielverderber! To spoil heißt verderben; wie der Spoiler am Auto zu seinem Namen kam? Er verhütet, dass Schmutz den Unterboden verunreinigt. Vielleicht deshalb.)

003William Wilditch, ein Engländer Ende fünfzig, ist nach London zurückgekehrt, in ein Spital. Die Röntgenaufnahmen zeigen ihm einen Schatten auf der Lunge; könnte ein Tumor sein. Vielleicht hat er nicht mehr lange zu leben. Nun fährt er nach Winton Hall im Umland, zu dem Anwesen, das der Familie gehört. Wilditch hat es geliebt, weil viel Natur ringsherum war — doch geerbt hat alles sein Bruder George, da er selbst ja ein unstetes Leben führte, auf allen Kontinenten unterwegs war als Informationsbeschaffer für eine Behörde, na ja, vermutlich für den Geheimdienst Ihrer Majestät.

Wilditch fühlt sich wieder wohl in Winton Hall, und da fällt ihm eine Schatzsuche ein, als er sieben Jahre alt war. In der Schulzeitung hat er darüber geschrieben, doch in Wirklichkeit war es anders, meint er, steht auf und bringt den Bericht seines Traums zu Papier. Da ist ein kleiner See mit einem riesenhaften Baum mitten auf dem Grundstück.

Ich träumte also, dass ich den See überquerte, ich träumte … Das ist die einzig feststehende Tatsache, und an sie muss ich mich anklammern: an die Tatsache, dass ich träumte. 

Nahe der Wurzel des Baums geht es in die Tiefe (das ist irgendwie Alice in Wonderland) und dann entlang einen Gang, einen Tunnel, und plötzlich steht der Junge vor Mr Javitt, der sich so nennen lässt und vielleicht anders heißt. Bei ihm ist Maria, eine sich in Quaktönen äußernde Frau. Der seltsame Mann lebt anscheinend seit Urzeiten dort unten, scheint der König dieser Unterwelt zu sein und gewöhnt sich an den kleinen William, der später schreiben wird:

Manchmal glaube ich, dass ich von Javitt — dem Mann, den es nie gab — mehr lernte als von allen meinen Lehrern. Während ich dort auf meinem Topf saß oder auf den Säcken lag, sprach er zu mir, wie nie zuvor oder nachher es jemand getan hat.

Javitt erwähnt noch seine wunderschöne Tochter, die Miss Ramsgate, und allmählich verliebt sich William in sie, die Unbekannte. Er werde sie suchen gehen, wenn er hier herauskomme. Ha, antwortet Javitt, die findest du nicht so leicht, da musst du alle Kontinente durchstreifen … Und in der Tat, in den 50 Jahren danach tat dies Wilditch, ohne zu wissen wieso. Aber es war ja ein Traum, und der Junge wusste zudem nicht, wie lange er dort unten verbrachte. Vielleicht war er drei Tage fort. (Unten war er länger: vielleicht die Umkehrung des Motivs kurze Zeit in der Unterwelt = lange Zeit auf Erden.)

Schätze gibt es auch, man kann in ihnen wühlen. William trennt sich schweren Herzens von Javitt, aber er muss heim. Er werde seine Tochter finden, verspricht er, und Javitt meint, er halte es für möglich. Dann gibt er ihm einen goldenen Topf mit, den der Junge schließlich am Tunnelausgang zurücklässt als Sühneopfer.

Wilditch der Ältere fährt, als er seine Geschichte fertig hat, nach 50 Jahren wieder über den Mini-See und wühlt sich zum Baum durch. Er kauert sich in der Nähe der Wurzeln hin und lauscht.

Als er sich mit der Hand aufstützte, kratzte ihn der scharfe Rand eines Metallgegenstandes, der in der Erde stak. Durch einige Fußtritte legte Wilditch ihn frei und entdeckte, dass es sich um einen alten Nachttopf aus Blech handelte. Im Erdreich hatte er jegliche Farbe verloren; nur an der Innenseite des Griffes hafteten noch ein paar Flecken gelben Lacks.

Vielleicht war der Topf nur angemalt gewesen, überlegt Wilditch, und als Junge hatte er ihn für golden gehalten. Plötzlich war alles klar. Er musste eine Entscheidung fällen.

 

 

 

 

 

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