Mondscheinbleich

Samstagabend sehe ich bei einem, der sky abonniert hat, manchmal eine Viertelstunde Fußball-Bundesliga. Ach, wie ist das traurig! Im leeren Stadion spielen sie vor sich hin. Man hört deutlich das Schreien der Spieler und sogar das plopp des Balls, wenn er hart geschossen wird. Ich hatte mal von der Magie und der Poesie des Fußballs geschrieben, doch das ist komplett weg. Man hat den Fußballsport enthauptet.

015Die Reporter tun weiter so, als wäre Dramatik im Spiel, die Liga verteilt Punkte, als wäre alles wie sonst, die Fernseh-Einnahmen stimmen, aber sonst stimmt nichts. Fußball ohne Zuschauer ist das pure Nichts. Man kann sich nicht mal richtig freuen wie über den 2:1-Sieg des SC Freiburg gegen Bayer Leverkusen, auswärts. Doch was bedeutet ein Auswärts-Sieg, wenn die Spiele allesamt im Niemandsland stattfinden, in einer fanfreien Zone? Wichtig, dass der Rasen in Schuss ist. Vor einem Monat las ich ein Inserat des SC-Freiburg, dass ein Greenkeeper (m/w/d) gesucht würde. Das hieß früher der Platzwart.

Die Formel eins kann ruhig ohne Zuschauer stattfinden, die macht genug Lärm, aber Fußball ..? Fußball ohne Jubel, ohne das Raunen, das durch die Menge geht! Ein Tor fällt, und alle springen auf, die Sicht aufs Tor ist verdeckt, man trifft auf irre Blicke … hey, den hat er reingemacht! Wo stieß man sonst in dieser sterilen und prüden bürgerlichen Besitzgesellschaft auf Ekstase und Menschen, die aus sich herausgingen? Die andere wildfremde Menschen umarmten?

Früher: beim SC im Dreisam-Stadion

Früher: beim SC im Dreisam-Stadion

Das ist verboten worden, und ich denke immer an den Spruch aus dem Evangelium: »Wer sein Leben retten will, wird es verlieren.« Schon vieles ist geopfert worden, um sich das nackte Leben zu retten (aber Corona ist nicht die Pest), dass irgendwie nicht mehr viel übrigbleibt, woran man sich freuen könnte. Die Menschen hatten sich schon vorher vereinzelt, aber das Fußballstadion war immer noch ein Ort der Präsenz, des Unerwarteten, des Wunders: der letzte, dünne Bodensatz von Metaphysik.

Es gab ja hin und wieder ein Spiel ohne Zuschauer, wenn Fans übergriffig geworden waren und ein Verein bestraft werden musste. Dass jedoch alle vor leeren Rängen kicken, das hätte sich auch Ror Wolf nicht vorstellen können, als er in seinem Gedicht Der letzte Ball sich ausmalte, wie der Ball hinausfliegt aus dem Geschrei, rasch in die Einsamkeit, mondscheinbleich und ohne Ton.

Der Ball würde weinen, könnte er es. Die Leute leben mit dieser Absurdität. Alle spielen mit, als wäre alles, wie es immer war. Wie wird das bei der Fußball-Europameisterschaft werden? Es wird vermutlich mindestens drei Jahre dauern, bis die Geimpften sich wieder ins Stadion trauen. Bis dahin wird man vor sich hinkicken und glauben, das sei Fußball.  Doch ein Fußballspiel ohne Zuschauer ist ein Witz, und noch dazu ein schlechter.

Die Fans verstehen das auch nicht richtig. Die echten fühlen sich dem Fußball entfremdet, war in einem Fernsehbeitrag über Anhänger des VfB Stuttgart zu hören. Die Fan merken plöötzlich, dass der Fußballbetrieb sie nicht braucht. Er hatte sich schon vorher dem Geld an den Hals geworfen, doch jetzt hat er seine Seele vollends verkauft. Und Manuel Neuer beklagte sich im Januar im Stern, dass die Spieler überlastet seien; die Mannschaften brauchen das Fernsehgeld, also spielen sie, was sie können. Die Armen! Die Zombie-Liga spielt sich ins Aus.

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