Retrostauration

Da steht nun dieses unverständliche Wort und fordert eine Erklärung. Sie kommt gleich. Giovanni Guareschi (1908-1968) schrieb in seiner Reihe um Don Camillo und Peppone eine kleine Geschichte mit dem Titel Fahrraddiebe, angelehnt an den Film von Vittorio de Sica (1948). Es geht um ein gestohlenes Fahrrad und die überraschenden Folgen — und um die Kunst, ein Fahrrad zu retrostaurieren (Begriff von mir). 

Constantin, der schon durch seine Teilnahme an der Eroica in der Toskana bei manipogo vorkam, schickte mir die Bilder von zwei Fahrrädern, die er vom Sperrmüll holte und während des Winters restaurierte. Es werde immer schwieriger, schreibt er, passende Teile zu finden. Er nennt die Seite eines Enthusiasten, der moderne Teile nach historischem Vorbild baut, hier der Link. Also: Zwei arme Seelen gerettet, viel Arbeit hineingesteckt, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen.

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Die Fahrraddiebe spielen im Frühling, darum sind sie hier richtig. Alles fängt an mit einem amtlichen Kontrollbesuch in einer Schule. Der kommunistische Bürgermeister Peppone, der Landesschulinspektor und der Direktor statten der Schule von Castorta einen Besuch ab und wollen die Lehrerin Diva Canetti inspizieren. Die Frau bleibt gelassen und lässt sich von den bohrenden Fragen der Herren nicht provozieren. Als sie nach der Situation an der Schule gefragt wird, antwortet sie: »Es fehlt an allem.« Sie selbst bringt täglich ihren fünfmonatigen Säugling mit, den sie in der Mittagspause stillt.

Gut, die Herren, werden zufriedengestellt und wollen abfahren, da läuft die Haumeisterin herbei und meldet: »Während die Lehrerin mit dem Inspektor beschäftigt war, hat ihr ein Halunke das Fahrrad gestohlen, das hinter der Schule unter einem kleinen Laubengang abgestellt war!«

Also geht die Lehrerin die drei Kilometer nach Hause zu Fuß. Jeden Tag. Die Kinder sammeln Geld für ein neues Fahrrad; sie weigert sich, es anzunehmen. Sie wolle ihr Fahrrad, und nur das. »Dieses oder keines.« Auch ein geliehenes Rad will sie nicht. Peppone sieht mehrmals die wandernde Lehrerin und hält es nicht aus. Don Camillo hat recherchiert:

Wir wissen aufgrund der Aufzeichnungen, die ich mir vom Wachtmeister habe geben lassen, dass das gestohlene Fahrrad ein schwarzes Modell ›Stucchi‹ war, mit grünem Netz und mit der Nummer P 34468. Treiben wir also das Geld auf und kaufen wir ein Fahrrad dieses Typs. Du bringst die Nummer an, und den Rest übernehme ich. … Wenn wir ihr nicht ihr Fahrrad zurückgeben, schaut sie es nicht einmal an. Wir müssen es also so herrichten, dass es genauso aussieht wie ihres.

Der manippogo-Autor als Don Camillo (2017 in Karlsruhe). Sein Rad: eine Stelle Veneta, 1960

Der manippogo-Autor als Don Camillo (2017 in Karlsruhe). Sein Rad: eine Stella Veneta, 1960

 

Die beiden Verschwörer kaufen also ein identisches Rad und rufen die 12 Kinder der vierten Klasse zusammen. Nein, sagen sie einhellig, es ist nicht das Fahrrad der Lehrerin. Und nun nennen sie Details: Hier war eine Beule, da fehlte Farbe, das Licht war LUX 34 A, die Glocke war TCI, die Tretkurbel hatte auf einer Seite die Zähne abgeschliffen, zudem machte sie an einer bestimmten Stelle klick. Und so weiter. Die Kinder müssen schwören, den Mund zu halten.

Peppone arbeitete Stunden über Stunden in seiner Werkstatt mit Feile, Schraubenzieher, Schmirgelpapier und Sand. Er änderte die Nummer, brachte Dellen an, Abschürfungen und Verschweißungen. Er durchwühlte eine Tonne Schrott, um etwas zu finden, womit man einen Dynamo, ein Licht, ein Schloss zusammenbasteln konnte, die dem jeweils beschriebenen Typ entsprachen. … »Wenn es immer noch nicht recht ist, schlage ich es mit einem Hammer in Stücke«, brummte Peppone.

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Normalerweise restauriert man ein altes, defektes Rad mittels Originalteilen und sorgt dafür, dass es möglichst original wirkt. Zu geschleckt soll ein restauriertes Rad auch nicht aussehen. Ein fabrikneues Rad jedoch auf alt zu machen würde heißen, es zu retrostaurieren. Damit habe ich ein schönes Wort erfunden.

Don Camillo lügt vor dem Wachtmeister, ohne rot zu werden: Dieses Rad, das gestohlene, habe der reuige Dieb ins Pfarrhaus gestellt. Der Wachtmeister stutzt; dann führt er sie ins Amt und vor dasselbe Rad, das identische, das er diesen Morgen vorgefunden habe mit dem Zettel zurückgeben der Canetti. Plötzlich hat man zwei; eins soll in Reserve, falls es mal wieder gestohlen werde. Wie heißt dieser alte unoriginelle Spruch? Pass auf dein Rad auf, schließ es ab, denn sonst stehen, wenn du wieder hinkommst, vielleicht zwei da.

 

 

 

 

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