Ausweglos
Dann am Sonntag, am vergangenen Sonntag (Wahltag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) der Polizeiruf 110. Wollte ich unbedingt sehen. Und Buckow und König enttäuschten uns nicht. Sie schütteten sich ein paar blaue Schnäpse rein und dann, schon leicht bläulich, tanzten sie und liebkosten sich. Leider wurden sie dann durch ihren Fall Sabine gestört und mussten alkoholisiert zu einem Tatort. Eine Leiche. Weitere folgten.
Ging es nicht in ihrem Fall davor auch um einen Serienkiller? Unter fünf Toten machen es die Rostocker anscheinend nicht. In Deutschland starben im Jahr 2000 noch 497 Menschen durch einen Mord, 2019 waren es nur mehr 245. Trotz der vielen Krimis gab es also weniger Mordopfer. (Oder etwa wegen der Krimis? Wirken sie doch kathartisch, also reinigend? Werden Mörder abgeschreckt?)
Wobei Sabine ja nicht eiskalt-mordlüstern, sonden spontan zu Werke geht und Leute umbringt, die es ihrer Meinung nach verdient hatten: Tarantino in Rostock. Mit leerem Blick läuft und fährt sie durch die Stadt, nimmt den frühreifen zynischen Vorstandsvorsitzenden aufs Korn, den Moralapostel auf der Parkbank, den vor Wut stets bebenden Gewerkschafter (der kommt davon), und haben wir einen übersehen?
Liebe deinen Nächsten, und dennoch würde man selber auch gern einem Ignoranten eine Kugel in den Bauch pumpen. Sabine schoss für uns, das war in gewissem Sinne befreiend, nur Russisches Roulette hätte sie nicht zu spielen brauchen, und sich auszulöschen, nachdem sie Feuer gelegt und Sascha eine Kugel verpasst hatte, war auch unnötig; aber Showdown und Shoot-out müssen anscheinend sein, und Kulisse und Komparsen waren nur da und grob gestrickt, alles plakativ und irgendwie erwartbar, weil die Werft ja nicht richtig interessiert, sondern nur der Fall, der einer Rahmen braucht und ein Grundrauschen.
Übrigens entnahm ich einem Artikel von Deine Korrespondentin — nur nebenbei gesagt —, dass im Fernsehen auf zwei Männerrollen eine Frauenrole kommt. Beim nächsten Film werde ich einmal mitzählen. Und nur 20 Prozent der Regisseure sind weiblich.
Ach Gott, Sascha hat’s erwischt, dachte nicht nur ich. Dann ging er jedoch mit Frau König den Strand entlang, alles war in Ordnung, und nun wurde ein Satz eingeblendet, der nicht nur mich laut lachen ließ:
Empfinden auch Sie Ihre Situation als ausweglos?
Wenn es sich so verhalte, dann solle man www.daserste.de kontaktieren, stand darunter. Ein schöner Schachzug zum Schluss. Man hätte auch schreiben können: Dann müssen Sie nicht unbedingt ein paar Menschen erschießen, trinken Sie lieber ein paar blaue Schnäpse! Immerhin zeigt uns der Schriftzug, dass den Autoren etwas das Gewissen schlug; recht geschieht ihnen, Gewalt ist keine Lösung, aber sie steckt eben im Krimi-System. Vielleicht sollte man einen Preis für den intelligentesten Krimi verleihen, bei dem niemand stirbt.
245 Morde gab es im Jahr 2019, jedoch rund 9000 Selbstmorde. Mehr als den anderen hasst man sich, mehr als am anderen verzweifelt man an sich und an der Welt, und diese Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Darüber sollte man nachdenken.
Bilder: NDR / Christine Schroeder