Eingetunkt
Der gestrige Tag war eine Lücke. Ich hatte ihn glatt übersehen. — Vorher war ich unterwegs, dann in einer Ferienwohnung, und da schaut man am Abend gern fern. Man sucht qualitativ gute Filme aus und landet dann irgendwo. Man sieht vier Filme und opfert dafür acht Stunden und ist nicht klüger, eher verärgert. Ich war es. Die »guten« Filme stimmten mich missmutig.
Das war mir noch nie passiert. Anscheinend hat sich in mir etwas verändert. Gehen wir systematisch vor. Erst kam Cast away von Robert Zemeckis (2000), das Drama um den FedEx-Experten (Tom Hanks), der nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel strandet und es schafft, dort vier Jahre zu überleben. Das war okay. Am nächsten Abend Väter & Töchter von Gabriele Muccino (2015), mit Russell Crowe in der Rolle eines kranken Schriftstellers, dem man die 10-jährige Tochter wegnehmen will. Das war schon ziemlich qualvoll, denn das Mädchen ist 25 Jahre später traumatisiert (nach dem Tod des Vaters) und kommt mit den Männern nicht zurecht. Es hat viel Sex und lechzt nach Selbstbestrafung.
Dann, wieder an einem Abend, Django Unchained von Quentin Tarantino (2012). Den Film hatte ich einmal positiv besprochen, doch dieses Mal fand ich ihn unerträglich. Ich empörte mich gegen diesen Film und fand es geradezu sadistisch, wie der Regisseur im Herrschaftshaus in Tennessee dessen Besitzer (Leo di Caprio) agieren lässt, wie er eine extrem bedrohliche Atmosphäre schafft. Eine Stunde quält er den Zuschauer, lässt Django in Gefangenschaft geraten, wo ein Cowboy sich daranmacht, ihm die Eier abzuschneiden (woran er glücklicherweise gehindert wird). Das schnelle Showdown (oder Shoot-out) mit vielen Toten ist nur ein schwacher Trost für die Belastung, der uns Tarantino ausgesetzt hat.
Auch bei Miracles from Heaven dauert die Hinführung zum glücklichen Ende 100 der 110 Minuten. Das Kind einer amerikanischen Familie ist todkrank und wird geheilt, indem es in einen hohlen Baum stürzt und mit Gott spricht. Das erfährt man so nebenbei, man kann so etwas nicht zeigen. War ein finanzieller Erfolg, der Film, ist zu lesen. Auch hier wird eine Ordnung gestört und wiederhergestellt.
Es ist klar, dass Regisseure eine sadistische Ader brauchen. Sie lassen die schrecklichsten Dinge eintreten und verwickeln alles, um es wieder zu entwickeln und einer Lösung zuzuführen, die dem Zuschauer (der Zuschauerin) eine Art Erlösung verschaffen soll. Wir sind der Handlung ausgeliefert, wir werden hineingezogen. Seit Beginn der Menschheit wurden sich Geschichten erzählt, der Mensch liebt das und lernt daraus. Doch bei einer Erzählung ist immer noch unser Intellekt beteiligt, wir können uns distanzieren.
Bertolt Brecht wollte mit seinem epischen Theater erreichen, dass der Zuschauer mitdenkt und sein Hirn einschaltet; die Schauspieler sollten zeigen, dass und wie sie spielen; die totale Identifikation lehnte Brecht ab. Im Film sind wir Opfer, die ihre Tortur selber gewählt haben. Was bringt dieser Gefühlsaufwand? Sicher keine Katharsis; man fühlt sich nur erschöpft, denn man wird im Grunde manipuliert.