Einswerdung

Die »vermählten« Schnecken aus dem gestrigen Beitrag müssen einen an das EPR-Paradoxon erinnern, eines der kniffligsten Probleme der Quantenphysik. Da wird es fürs Denken wieder erregend, man kann drauflosspekulieren. Wir halten uns aber erst einmal an die Fakten, die abenteuerlich genug sind. Folgt mir!

Einstein und seine Kollegen Podolsky und Rosen (abgekürzt EPR) dachten sich 1939 etwas aus. Man nennt das ein Gedankenexperiment. Sie stellten sich vor, dass zwei Körper X1 und X2 in einer Zeit t miteinander wechselwirken: Sie werden also zusammengebracht wie die Schnecken. Dann trennt man sie und entfernt sie weit voneinander. Man schießt eins zur Erde, das andere zum Sirius. Das Sternbild Sirius ist 8,6 Lichtjahre entfernt. Wenn man also etwas dorthin funkt, also ein Lichtsignal schickt, wird es achteinhalb Jahre später registriert, also im Herbst 2029.

Wir vereinfachen stark: Wir bringen ein grünes und ein blaues Teilchen zusammen. Ein türkisfarbenes Gesamtobjekt entsteht. Es schwingt außerdem. Sagen wir, X1 brummt und X2 pfeift, und zusammen ergibt sich ein harmonischer Ton. Wir haben die Farbe registriert und den Schwingungston. Das Gesamtobjekt sagt uns gewissermaßen:

Wenn du unsere beiden Teile voneinander trennst, wird dir das nichts bringen. Wir sind eins; wir ergänzen uns zu einem Objekt. Du darfst dir aussuchen, was du fragen willst: Farbe oder Ton. Du darfst nur einen Wert abfragen und wirst sehen, wir haben die Antwort.

Also gut, einverstanden. Wir schießen die beiden Teilchen voneinander weg. Wenn das erste auf der Erde angekommen ist, entscheide ich mich dafür, die Farbe wissen zu wollen. Der Sirius ist zu weit weg, das Teilchen dort kann von niemandem erfahren, was ich gemessen und gefragt habe. Also: die Farbe. Das Teilchen auf der Erde ist blau. Welche Farbe hat das andere Teilchen? Es ist grün, wird meine Mitarbeiterin auf dem Sirius erkennen. Wäre mein Erd-Teilchen grün gewesen, dann wäre das Sirius-Teilchen … blau gewesen.

Wir sind es, die eingreifen und das System beeinflussen. Vor der Beobachtung (oder Messung) war jedes Einzelobjekt irgendwie blaugrün, beides war möglich, vielleicht stellt meine Mitarbeiterin auch fest, ihr Teilchen sei grün; wenn ich dann mich für die Farbe entscheide und ein grünes Teilchen sehe, ist ihr Teilchen plötzlich blau. Es hat sich umentschieden. Irre. Es spielt eine Rolle, wo und wann wir messen, immer stimmt die Gesamtsumme.

Hätte ich den Ton gemessen und das brummende Teilchen gehabt, hätte meine Mitarbeiterin festgestellt, dass das Sirius-Teilchen pfeift. Und umgekehrt. Die Entfernung spielt anscheinend keine Rolle, die beiden Partner sind ein eingespieltes Team: Der andere wusste anscheinend, was wir gefragt haben und richtet sich nach der Antwort; hat den entgegengesetzten Wert, der dazu passt. Und es ist ein präziser Wert jedes Mal, was Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation igentlich verbietet.

Und, wie gesagt, das Teilchen konnte nicht erfahren, was ich messen würde. Neun Lichtjahre ist einfach zu weit weg. Einstein sprach deshalb scherzhaft von einer spukhaften Fernwirkung, die ihm nicht gefiel. 50 Jahre später stellten Alain Aspekt, Dalibard und Roger bei einem Experiment fest, dass sich alles so verhält, wie es sich EPR gedacht hatten. Ob es dem Physiker gefällt oder nicht.

Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) dachte nun nach und hielt, wie in seinem Buch Aufbau der Physik geschildert, das EPR-Experiment tatsächlich für paradox. Zwei Sandkörner seien unterschiedene Objekte; die beiden Sandkörner des Gesamtsystems seien aber ein Objekt. Einstein habe die Quantentheorie als mangelhaft entdeckt.

Diese Theorie beschreibt den Raum, anders als die Objekte, als etwas im Sinne der klassischen Physik an sich Seiendes. Eben deshalb wirkt es verblüffend, dass Objekte an weit entfernten Orten ein Objekt sein sollten.

Mit der Quantentheorie stimmt also etwas nicht. Er selber behauptete:

Will man die Quantenmechanik aufrechterhalten, so muss man die Realitätsannahme aufgeben.

Weizsäcker selber erdachte eine Theorie, in der man ein Teilchen überhaupt nicht im Raum beschreiben muss. Raum und Zeit sind unsichtbar; wir wissen von Gegenständen im Raum und Ereignissen in der Zeit, doch das haben wir so definiert. Eine andere Realität … Die andere Dimension, das Jenseits, hat womöglich Quanteneigenschaften. Dort gibt es keine Zeit, wie wir sie kennen, und der Raum spielt keine Rolle. In der Geistigen Welt ist sich nah, was ähnlich denkt. (Ich bin meinem lieben Freund Jan Paulsen in Norwegen nah, nächer als dem Nachbarn von gegenüber.) Die Zeit gibt es dort auch nicht, und vielleicht hier ebensowenig. Ich bin vielleicht gleichzeitig im 14. Jahrhundert inkarniert, und alles ist statisch, und die Statik ergibt sich aus unablässiger Bewegung ihrer Teile. Faszinierend ist das alles.

 

 

 

 

 


 

 

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