Maya Angelou
Dieses Buch — Ich weiß, waum der gefangene Vogel singt — hatte Erfolg und hat ihn verdient. Maya Angelou (1928-2014) hat ihre Kindheit unter ihrem echten Namen Marguerite Johnson in Stamps, einer Ansiedlung von Schwarzen, geschildert, und das glanzvoll. Sie sieht und spürt alles um sich herum und kann es auf neuartige, frische Weise ausdrücken; eine faszinierende Sprache hat sie. Ich war begeistert.
Das Buch hat seinen Erfolg hundertfach verdient, doch nicht verdient hat es die Kurzfassung der öligen PR-Schreiber des Verlags.
Dieses Buch erzählt die Geschichte eines trotzigen Mädchens im Kampf gegen unvorstellbare Widerstände. Und zur gleichen Zeit singt es die schönste Hymne auf die weltverändernde Kraft der Worte, der Fantasie, der Zärtlichkeit im Angesicht des Grauens.
Die »unvorstellbaren Widerstände« habe ich vergebens gesucht, und was soll das »im Angesicht des Grauens«? Das Grauen fließt dem PR-Menschen flott aus der Feder, der Suhrkamp-Poet sinkt da auf das Niveau eines Boulevard-Journalisten und schadet dem Buch und ihrer Autorin. Es war nicht angenehm, sogar ziemlich widerwärtig, wie die Schwarzen von den Weißen behandelt wurden, doch das Grauen (the horror! Kurtz in Conrads Herz der Finsternis) war es nicht. Das Grauen muss auf geplanten Massenmord beschränkt bleiben. Doch wir vergessen nicht, dass Marguerite als Achtjährige vergewaltigt und später in einem Internat laufend von Klosterschwestern gezüchtigt wurde, wobei die bayerischen besonders grausam waren.
Aber zitieren wir ein wenig Maya Angelou (rechts das Cover des Originals):
Es schien, als ob der Friede des endenden Tages versicherte, dass der Bund, den Gott mit den Kindern, den Schwarzen und den Krüppeln geschlossen hatte, noch immer seine Gültigkeit besaß.
Ein Schleier hing zwischen der schwarzen Gemeinschaft und allem, was weiß war. Aber man konnte hindurchsehen und entwickelte ein Gefühl aus Furcht, Bewunderung und Verachtung für die weißen Dinge — die Autos, ihre strahlend weißen Häuser, ihre Kinder und Frauen. (…) Natürlich war mir klar, dass auch Gott ein Weißer war, doch niemand konnte mir einreden, dass er Vorurteile hatte.
»Ich weiß, Zahnarzt Lincoln. Aber das ist ja nur meine kleine Enkelin, sie wird Ihnen keinen Ärger machen.«
»Annie, jeder hat seine Überzeugungen. In dieser Welt muss man Überzeugungen haben. Meine Überzeugung ist, ich behandle keine Farbigen.« (…) Wir standen jetzt alle drei auf dem schmalen Treppenabsatz. »Annie, es ist meine Überzeugung, dass ich lieber einem dreckigen Köter die Hand ins Maul stecke als einem Nigger.«
Daddy führte ein lockeres Gespräch mit unserer Großmutter, so, wie Weiße mit Schwarzen reden, arrogant und teilnahmslos.
Und die Schaffnerin sah mich wie üblich an: aus kalten Augen weißer Verachtung.
In ihren zarten Jahren wird die schwarze Frau von allen Kräften der Natur heimgesucht. Sie gerät in ein dreifaches Kreuzfeuer aus Vorurteilen: des unlogischen weißen Hasses, der schwarzen Ohnmacht und des männlichen Chauvinismus.
Doch sie musste dazulernen, die Schaffnerin. Mit Energie und Hartnäckigkeit schaffte es Marguerite Johnson, in San Francisco die erste schwarze Straßenbahnschaffnerin der Vereinigten Staaten zu werden. Sie war in dem Ort Stamps bei ihrer Großmutter aufgewachsen, Vater und Mutter wohnten an zwei unterschiedlichen Orten in Kalifornien, und nach ihrem Schulabschluss lebte Marguerite bei ihrer Mutter. Sie ging eine kurze Ehe ein, war Tänzerin, nannte sich in Maya Angelou um, verlegte sich in New York aufs Schreiben, verbrachte einige Jahre in Afrika und unterstützte aktiv Martin Luther King und Malcolm X, die beide ermordet wurden. 1982 wurde sie Professorin, und am 20. Januar 1993 trat sie bei der Amtseinführung Bill Clintons auf. Maya Angelou war eine geachtete Lyrikerin und Intellektuelle. Als Barack Obama vereidigt wurde, soll sie gesagt haben: »Wir wachsen über die Idiotie von Rassismus und Sexismus hinaus.«
Noch ein paar Perlen aus ihrem Buch Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt:
Die Gründlichkeit, mit der sie (Viola Culliman) ihren Haushalt führte, war unmenschlich. (…) Dolores lebte bei ihm und hielt die Wohnung so sauber und ordentlich wie einen Sarg.
Zingzong schlug sie (die Mutter) zurück (mit Leidenschaftsausbrüchen, die dem stärksten Mann die Brust enthaaren könnten). Hinterher war sie herzlich traurig (aber nur mir gegenüber)
Die Tränen kamen nicht Baileys wegen, auch nicht wegen Mutter oder mir selbst, sondern wegen der Hilflosigkeit der Sterblichen, die das Leben erleiden.
Eine Stelle muss noch sein. Marguerite versucht, einen Jungen zu verführen und denkt sich eine kluge Taktik aus, und dann geht es los:
Mein Auserwählter kam mir direkt über den Weg gelaufen.
»Hallo, Marguerite.« Er war schon fast vorbei.
Ich setzte meinen Plan in Szene. »He!« Ich spielte alles oder nichts. »Würdest du gerne Geschlechtsverkehr mit mir haben?«
So hatte ich mir das gedacht. Sein Mund stand offen wie ein Scheunentor. Den Vorteil nutzte ich aus. »Lass uns irgendwohin gehn.«
Seine Antwort war bar jeder Würde. Ich gebe aber fairerweise zu, dass ich wenig Anlass zu Höflichkeiten bot. Er fragte: »Du meinst, du willst ’ne Nummer machen?«
Genau das wollte ich.