Recht haben

Am 31. März erst hatten wir Crossroads, und nun muss ich eine nette kleine Geschichte erzählen, die ich an einer Kreuzung in der Prärie erlebte. Ein verhangener Sonntag im Juni, ivh komme mit dem Rad an, und da stehen schon drei Autos. Jedes hat Vorfahrt, keines rührt sich. Dann kam ials Vierter hinzu und machte die Blockade komplett. Grotesk: Jeder hat das Recht auf seiner Seite, aber jeder blockiert den andren!

Es gilt Rechts vor Links. In unserem Fall war die Sache schnell gelöst: Ich hob die Hand, lachte und fuhr einfach über die Kreuzung. Nun konnte der Lenker des Fahrzeugs links von mir sein Recht ausüben und fahren, dann der mir gegenüber und schließlich der rechte. Doch angenommen, ich habe ein Auto und halte auch an. Ratlosigkeit. Alle könnten nun vielleicht ein Stück vorrücken, um ihr Recht zu suchen, doch dann blockieren sie sich in der Mitte. Die einzige Lösung: Jemand verzichtet auf sein Recht und lässt den anderen mit einer Handbewegung fahren. Dann sind die anderen drei befreit. Wenn nun alle vier dem jeweils anderen Bevorrechtigten den Vortritt lassen, ist auch nichts erreicht.

Das klingt irgendwie nach Jean-Luc Godard, der auch einen Film über einen Stau gedreht hat. Weekend! heißt er, von 1967. Aber hier haben wir ja nicht eine Blockade wegen zu vieler Autos; nein, es ist ein Stillstand mitten im Land aus Prinzip. Ich habe Recht und habe nichts davon. Die Situation ist wie ein Zirkelschluss, wie ein geschlossenes, erstarrtes System.

Ich glaube, Bertrand Russell kam zu der Erkenntnis, dass es in jedem System ein Problem gibt, das nur durch Zugriff auf eine andere, höhere Dimension gelöst werden kann. Nur so verhindert man logische Sackgassen. In unserer Sackgasse hilft auch ein solcher Ausweg: Es ist das Nachgeben, das großzügige Fahrenlassen des anderen, das gleichzeitig einen Sprung aus dem Rechthabenwollen und -müssen des sich seiner Rechte bvewussten westlichen Staatsbürgers darstellt — und allen hilft. Oder: Das Fahrrad hilft, das Fahrzeug des freien Weltbürgers, der den Insassen in ihren rollenden Bunkern eine Nase dreht.

Zum Glück gibt es Menschen, die nicht nach Geld oder Geltung streben, die bewusst anderen dienen; sonst wäre diese Welt unerträglich. Nur die außerhalb des Systems Stehenden retten dieses. Man könnte freilich auch Chefin oder Chef als aus anderer Dimension kommend abbilden, die Hierarchie als nötige Maßnahme gegen drohende Blockaden sehen … doch ich könnte mir denken, dass in einem Team von fünf Leuten jeder die Arbeiten des anderen redigiert und korrigiert, reihum, und dass sie Entscheidungen nach Diskussion und Abstimmung fällen.

Ich bin noch so weit Idealist, dass ich mir eine Welt ohne Chefs und vorgesetzte Behörden denken kann. Viele sind dazu nicht mehr in der Lage.

 

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