366 Mal Buddhismus

Mittwoch Nachmittag ist in dem kleinen Ort immer Markt, und ich fahre mit meinem alten Victoria-Rad hin, doch muss man da immer lang warten, um eine Audienz bei meinem Lieblingsverkäufer zu ergattern. Zum Glück steht in der Nähe ein altes Telefonhäuschen mit Büchern, und eines von ihnen, ein unscheinbares, sprach mich an, flüsterte mir zu: ›Willst du mich nicht mitnehmen?‹ Ich tat es.

IMG_E1706366 Readings from Buddhism, 2003 eröffentlicht von Jaico Publishing House, Mumbai, Indien. Wie mag dieses Buch in die badische Gemeinde gelangt sein? Mir gefällt es, Bücher als Lebewesen zu sehen, die reisen und die auch gelesen werden und nicht nur herumstehen wollen. Bücher, ja, sind toll, und Tiere auch, aber am wichtigsten ist der Mensch. Zehn Minuten bevor ich mich in dem Bücherhäuschen umsah, war da nicht eine Frau in fremder weißrosa Tracht ganz arglos auf dem Radweg spaziert? Ich hatte es nur am Rande registriert, wir sind ja dran gewöhnt. Vielleicht war es eine Frau aus Mumbai, und ich sollte mich fragen: Wie ist sie hierher gelangt? Was hat sie hinter sich? Wie fühlt sie sich hier?

Dann lächelt man sie nur an, wenn sich die Gelegenheit ergibt, aber immerhin; ich lächle nicht einmal die Ureinwohner hier an: nur die paar, die ich kenne. Jedenfalls fand ich in dem Buch sofort eine sinnige Seite und fühlte mich gedrängt, sie weiterzugeben:

Ein Kraut, das immer heilt

Möge ich Medizin sein für die Kranken; lass mich gleichzeitig ihr Arzt und ihre Krankenschwester sein, die jede Krankheit heilen, dass sie nie mehr auftritt. Möge ich Nahrung sein für die Hungrigen und Trank für die Dürstenden; lass mich in der Hungersnot alle Bedürfnisse stillen. Mäge ich ein Schatz den Armen sein; lass mich Wohlstand verbreiten, der aus einer unerschöpflichen Quelle stammt.

Ohne ein Bedauern gebe ich jede Bequemlichkeit zu Gunsten anderer Menschen auf. Ich weiß, dass ich Bequemlichkeiten opfern muss, um die Erleuchtung zu erlangen; und die Erleuchtung ist mein sehnlichster Wunsch. Ich muss alle meine materiellen Güter aufgeben, ich wünsche, sie anderen lebenden Wesen zukommen zu lassen.

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Ich übergebe selbst meinen Körper anderen. Lasst sie ihn schlagen, sich über ihn lustig machen, ihn mit Dreck bewerfen, wenn sie das wollen. Lass sie meinen Körper zu jedem Zweck, den sie haben, benutzen. Mein Körper bedeutet mir nichts.

Manche Menschen beschuldigen mich fälschlicherweise; andere bemühen sich, mich in die Armut zu treiben; und wieder andere untergraben meinen Ruf. Mein Wunsch für sie ist, dass sie meine Erleuchtung mit mir teilen.

Möge ich die Schutzlosen beschützen. Möge ich das Boot sein, das andere über unruhige Wasser trägt. Möge ich ein Licht sein für jene in der Dunkelheit. Möge ich ein Bett sein für jene, die Ruhe nötig haben. Möge ich ein Diener sein für jene, die einen Dienst brauchen. Möge ich ein Edelstein sein, der Wünsche wahrmacht, ein Zauberspruch, der immer funktioniert, ein Kraut, das immer heilt und eine Kuh, die immer Milch gibt.

aus: Shantideva: The Bodhicaryavatara (1995)

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