Liebe, kontaminiert
Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass in einem Roman von John Le Carré (1931-2020), dem Altmeisters des Spionageromans, die Liebe eine große Rolle spielen würde. Es war aber so, und darum geht es mit dem Thema weiter, aber mit einer bitteren Note. Denn Le Carré kannte das Leben und seine Fallstricke. Wenn die Liebe von externen Interessen heimgesucht wird, geht sie zugrunde.
Le Carré, der erst am 12. Dazember 2020 fast 90-jährig gestorben ist, hat in 60 Jahren 27 Romane geschrieben, von denen 9 George Smiley im Mittelpunkt sehen. In dem Buch The Secret Pilgrim (1990), von dem ich spreche, doziert ein Smiley im Ruhestand, eine lebende Legende, vor einer Klasse von Spionageschülern, eingeladen von Ned, der Smiley viel verdankt. Ned ist der Erzähler und erinnert sich an einige Fälle aus seinem Berufsleben, das sich nunmehr auch dem Ende zuneigt. Im Deutschen heißt das Buch Der heimliche Gefährte, im Französischen Der geheime Reisende, und ich weiß nicht, warum man den Originaltitel nicht wörtlich übertrug: Der geheime Pilger. Klang das den Verlagen zu religiös?
Eine traurige Geschichte behandelt Cyril Frewin, der in London geheime Botschaften dechiffriert. Plötzlich bekommen seine Chefs ein anonymes Schreiben: Vorsicht, er verkehrt mit einem Russen, Sergej! Ist Cyril noch tragbar? Ned, der in der Verhörabteilung arbeitet, muss ihn durchleuchten und besucht ihn zu Hause. Der einsame Mann — kahlköpfig und gut gebaut — liebt die Oper, Ned erwähnt diese große Liebe, und dann definiert Cyril Frewin Liebe:
Das Engagement, ja, da haben Sie meine Definition der Liebe. Eine Menge Leute sprechen von der Liebe als von einer Art Nirwana. Aber das ist es nicht. Ich bin in der richtigen Position, das zu wissen. Die Liebe ist nicht unterschiedlich vom Leben. Sie ist nicht jenseits des Lebens und auch nicht höherstehend. Die Liebe ist im Herzen des Lebens. Sie macht einen integralen Teil des Lebens aus, und was man von ihr zurückbehält, hängt von den unterschiedlichen Mitteln ab, mit denen man seine Energie und seine Loyalität einsetzt. Unser Herr hat uns das eindeutig klargemacht. Nicht, dass ich selbst gläubig wäre; ich bin Rationalist. Die Liebe, das ist ein Opfer, das ist eine harte Prüfung. Die Liebe, das ist auch Schweiß und das sind Tränen, wie es die große Musik sein muss, um ihren Namen zu verdienen. In diesem Sinn, da gebe ich Ihnen recht, Ned, ist die Musik meine große Liebe, wenn Sie mir folgen wollen.
Das ist eine schöne Definition, wenn wir eine brauchen. Cyril ist einsam. Er liebt die Musik und auch Sprachen, fängt einen Russisch-Fernkurs an, und plötzlich meldet sich Sergej, der auch die Oper liebt und sich als Geistesverwandter herausstellt. Sie werden Freunde und besuchen in London gemeinsam die Oper. Er wird eingeladen, Salzburg zu buchen und nach Moskau zu kommen, man überredet ihn, Geheimdokumente zu fotografieren, und Cyril findet nichts dabei, vermutlich getrieben durch Loyalität (oder Liebe) zu Sergej, der ihm näher ist als sein Arbeitgeber, der britische Geheimdienst. Das klingt in Cyrils Worten allzu naiv, aber warum nicht, wieviele Frauen (meist Frauen) haben nicht aus Liebe alles getan? Sergej allerdings spielte Cyril Freundschaft und Liebe nur vor, um etwas aus ihm herauszuholen, er verrät die Liebe, und einer muss dafür bezahlen: Cyril. Die Polizei holt ihn ab, er wird des Verrats angeklagt werden und im Gefängnis landen.
Traurig ist auch die Geschichte von Bella, der 22-jährigen blonden Freundin von Kapitän Brandt, der in Hamburg für den britischen Geheimdienst tätig ist. Er muss auf eine Mission, und Bella hat schon vorher signalisiert, dass sie Ned mag. Plötzlich sind die beiden zusammen. Er sieht sie nackt und gesteht, er habe nie einen schöneren Körper gesehen; ihr Anblick habe ihn von ihrer Unschuld überzeugt. (Dann schreibt Le Carré zwei wunderschöne Seiten über ihr Zusammensein und die unendlichen Zärtlichkeiten zwischen den beiden.)
Das Hauptquartier verdächtigt sie, die undichte Stelle zu sein, zumal als Brandts Kommando auffliegt und er verschwindet. Der Vater von Bella wurde getötet, man vermutet, sie wolle sich rächen, und schließlich wird sie zum Verhör (auf den Grill, wie man sagt) nach London bestellt. Der Verdacht, der auch Ned ergriffen hatte, kontaminierte auch diese Liebe, und sie ging zugrunde. Bella war indessen unschuldig und erhielt eine neue Identität, um in Kanada zu leben. Ned konnte sie nie vergessen.