Alle vier Minuten
Ein Radiosender in Südafrika blendet derzeit, wie letzten Freitag auf CNN zu erfahren war, alle vier Minuten einen Pfeifton in sein Programm ein. Denn alle vier Minuten wird in dem Land am Kap eine Frau vergewaltigt. Ein junges Mädchen starb – ähnlich wie in Neu Delhi – nach einer Vergewaltigung durch eine Gang. Nach einer Regierungsumfrage kennen 71 Prozent aller Frauen in Südafrika sexuelle Gewalt, und einer von vier Männern gab eine Tat zu.
Dann wurde noch über ein junges Mädchen in Pakistan berichtet, der ein Taliban in den Kopf geschossen hatte, weil sie im Fernsehen ihre Rechte eingefordert hatte. Sie hatte unglaubliches Glück und konnte gerettet werden. In Pakistan und Afghanistan haben es Frauen besonders schwer, in Schwarzafrika auch, und dann gibt es noch Asien. In muslimischen Ländern hört man immerhin etwas öfter von ihnen; die FAZ schrieb vor kurzem über sexuelle Repressalien gegen Frauen in Ägypten, und es gab sogar Proteste saudi-arabischer Frauen gegen Benachteiligung.
Auf der Rückfahrt von Bayern vor einer Woche las ich schnell ein Jugendbuch weg, Aischa (1986) von Federica de Cesco. Die 1938 in Pordenone geborene Autorin hat 100 Bücher geschrieben, und Aischa war spannend. Die Geschichte der 16-jährigen Algerierin, die mit ihren Eltern in Paris aufwächst und von ihren beiden Brüdern bewacht wird, kam mir bekannt vor; vielleicht wurde sie verfilmt. Aischa lernt einen jungen Koreaner kennen, der sie langsam mit einer möglichen Freiheit vertraut macht, denn sie darf ja keinen Badeanzug tragen, sich nicht mit einem Mann treffen, und viele wie Aischa leben noch heute eingeschlossen in der Wohnung. (Foto: eine Initiative von Plan International, Hamburg: Because I am a Girl.)
Aber es wird sich vielleicht auch etwas verändert haben in den fast 20 Jahren seither. Aischa gelingt es jedoch, ihren Bruder Said zu überlisten und zu fliehen. Ich las danach die Erzählung Schloss Dürande von Johann von Eichendorff, etwa um 1820 geschrieben, und da passt es dem Jäger Renald nicht, dass seine Schwester einen jungen Grafen trifft. Renald geht auf die Pirsch, erschießt den Grafen − und seine Schwester mit. Aha, dachte ich mir, vor 200 Jahren war das also in Deutschland auch so wie heute noch in Süditalien und Marokko, dass der Bruder aggressiv über die Schwester wacht, die die »Ehre der Familie« beschmutzt, wenn sie Männer trifft.
Aber dass das früher bei uns auch so war, kann kein Argument sein. Es mag zutreffen, dass gewisse Entwicklungen durchlaufen werden müssen, doch dürfen wir heute den Frauen nicht zumuten, 200 Jahre darauf zu warten, bis sie sich frei bewegen dürfen. Bis sie die ihnen zustehende Rolle in der Gesellschaft einnehmen, könnte bei uns auch noch 100 Jahre dauern. Wenn es jemals geschieht.
In Italien beklagt man heute noch jedes Jahr Dutzende Morde, weil Männer es nicht hinnehmen wollen, dass eine Frau sich von ihnen trennt. Dann kommt es zu einer zufälligen Häufung von schrecklichen Taten gegen Frauen, die Weltöffentlichkeit ist eine Weile sensibilisiert, aber bald wird das wieder vergessen sein. Was kann man tun? − Man kann die Organisation UN Women unterstützen oder zumindest ihre Arbeit verfolgen.
Anfang Februar gab es auf deren Seite eine Geschichte über den 24 Jahre alten Mwasapi Kihongosi, der ein T-Shirt gegen Gewalt gegen Frauen kreierte, den Kilimandscharo bestieg und eine Kampagne für Frauen leitete. Er sei auf das Thema von tausenden missbrauchten Frauen aufmerksam geworden, erzählte er, und seither lasse ihn das Thema nicht mehr los. Auch uns darf dieses Thema nicht mehr loslassen. Ich werde eine Serie über Lyrikerinnen starten, und da es viele von ihnen gibt, wird die Serie unendlich dauern; sie wird sich in mein Unendliches erstrecken. Am 8. März ist übrigens Weltfrauentag. (Foto: Otto Marzo – achter März)