Wieder eine Dame am Lift

Es ist schon über neun Jahre her, war also am Anfang von manipogo, dass ich über Die Lady am Lift schrieb, die dort von einem Mann am Eintreten gehindert wurde, was ihr das Leben rettete. Das geschah 1890 in Boston. Unsere neue Geschichte spielt 1978 in New York, auch vor einem Lift, und die beiden handelnden Personen sind die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) und Mrs Schwarz.  

Frau Kübler-Ross schritt mit einem Pastor auf den Lift zu. Mit dem Mann hatte sie ein Seminar geleitet, doch es gefiel ihr nicht, und sie fasste den Entschluss, zu kündigen und dem Pastor das Seminar zu schenken. Der Mann war groß und schwerhörig, also packte die Schweizerin ihn am Kragen, um ihm Bescheid zu sagen. Sie habe eine wichtige Entscheidung getroffen und wolle sie ihm mitteilen, sagte sie.

Also ein dramatischer Moment. Die Kübler-Ross wollte aussteigen (aus der Uni). Sie war eine Pionierin: 1977 hatte sie mit Kollegen bereits hunderte  außerkörperliche Erfahrungen gesammelt, die oft in Todesnähe geschahen, und sie schloss:

trzecieoko1984Der Tod ist ganz einfach das Heraustreten aus dem physischen Körper, und zwar in gleicher Weise, wie der Schmetterling aus seinem Kokon heraustritt. Der Tod ist das Hinübergehen in eine neuen Bewusstseinszustand, in welchem man fortfährt, zu fühlen, zu sehen, zu hören, zu verstehen, zu lachen, und wo man bereit ist, weiter zu wachsen.

Doch noch ehe sie dem Pastor ihren Ausstieg verkünden konnte, kam eine Dame zum Lift, die ihr bekannt vorkam und die irgendwie durchsichtig wirkte. »Kennen Sie sie?« fragte die Ärztin den Pastor. Er kannte sie nicht. Frau Kübler-Ross musste mit der Frau sprechen, die ihr so gut bekannt war und mysteriös wirkte; der Pastor stieg in den Lift ein. Nun in ihren eigenen Worten (aus dem Buch Über den Tod und das Leben danach … und die Illustration ist ein lesender weiblicher Geist aus dem Film ›Ghostbusters‹):

DSCN1971Sobald er in den Fahrstuhl gestiegen war, trat jene Frau auf mich zu und meinte: »Dr. Ross, ich musste zurückkommen. Gestatten Sie, wenn ich Sie zu Ihrem Arbeitszimmer begleite? Ich werde Ihre Zeit nur kurz in Anspruch nehmen.« So etwa äußerte sie sich. Und da sie anscheinend wusste, wo mein Arbeitszimmer war, und da sie meinen Namen kannte, fühlte ich mich aus meiner Verlegenheit gerettet, zumal ich nicht zuzgeben brauchte, mich nicht mehr an ihren Namen erinnern zu können. Dennoch war dies der längste Gang in meinem ganzen Leben.

Denn die Schweizer Ärztin hatte viel in der Psychiatrie gearbeitet und wusste, was Halluzinationen waren. Und nun ging jemand neben ihr her, der anscheinend gestorben war, sie erinnerte sich vage (nur nicht an den Namen). An Mrs Schwarz dachte sie zunächst noch nicht. Sie war vor zehn Monaten gestorben.

Sie öffnete die Tür mit einer unwiderstehlichen Höflichkeit, Sanftheit und Liebe und sagte: »Dr. Ross, ich musste aus zwei Gründen zurückkommen. Der eine Grund ist, dass ich Ihnen … für all das, was Sie an mir getan haben, meinen Dank sagen möchte. Aber der eigentliche Grund, warum ich zurückkommen musste, ist der, Ihnen zu sagen, dass Sie diese Arbeit über das Sterben und den Tod nicht aufgeben dürfen, wenigstens noch nicht.«

Immer noch dachte sie nicht an Mrs Schwarz, sondern nur, dass sie einen Geist im Arbeitszimmer hatte, eine Frau, die hoffentlich gleich verschwinden würde.

Aber sie verschwand nicht. Sie verharrte in ihrer Stellung und sagte hartnäckig, aber in einem liebenswerten Ton: »Dr. Ross, hören Sie mich? Ihre Arbeit ist noch nicht beendet. Wir werden Ihnen helfen. Sie werden wissen, wann Sie damit aufhören können. Aber bitte, hören Sie jetzt noch nicht damit auf. Versprechen Sie es mir? Ihre wirkliche Arbeit hat erst begonnen.« … Und dann, indem sie Anstalten machte, sich zurückzuziehen, wiederholte sie: »Dr. Ross, Sie versprechen mir es doch, nicht wahr?« … Und ich entgegnete: »Ja, ich verspreche es.« Und in demselben Augenblick, als ich sagte, ›ich verspreche es‹, verschwand sie.

Höchst symbolisch: Fall Nummer eins (Mrs Schwarz) schreitet als Sendbotin der Geistigen Welt in höchster Gefahr ein und verschwindet, nachdem die Mission geglückt ist. Später hatte Frau Kübler-Ross selber eine Nahtod-Erfahrung und erlebte ebenfalls das grenzenlose Glück derer, deren Geschichten sie gelauscht hatte. Doch dieses Glück hat Neider; was schön ist, kann nicht wahr sein. Glaub nur an die konkreten Dinge, lehrt die materialistische und zynische Gesellschaft, und vor 40 Jahren wurden die paar hundert Geschichten hinweggefegt. Heute haben wir zehntausende solcher Berichte, und wer sie ignorieren oder bekämpfen will, der möge das, bitteschön, tun. Die Autorin schrieb damals:

Doch ich glaube, ich habe damals ebenfalls begriffen, dass ich, sollte ich mein Wissen über das Leben nach dem Tode mitteilen, im wahrsten Sinne des Wortes durch tausend Tode zu gehen hätte, da die Gesellschaft, in der ich lebe, versuchen würde, mich in Stücke zu reißen.  

 

 

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