Therese von Lisieux

Am 19. Oktober 1997 ernannte Papst Johannes Paul II. eine Frau zur Kirchenlehrerin (doctor ecclesiae), die nie Theologie studiert hatte: Therese von Lisieux, die »Theresia vom Kinde Jesu«. 100 Jahre zuvor war sie gestorben, erst 24 Jahre alt. Ihre Lebensbeschreibung Geschichte einer Seele ist in 60 Ländern gedruckt worden, und schon am 17. Mai 1925 wurde die »kleine Thérèse« heiliggesprochen.

Therese starb qualvoll an der Tuberkulose und sagte auf dem Sterbebett (in Letzte Gespräche) über ihre Zukunft:

Ich fühle, dass meine Mission beginnen wird. Meine Mission, Gott so lieben zu lehren, wie ich ihn liebe, und den Seelen meinen »Kleinen Weg« zu zeigen. Erhört Gott meine Wünsche, so werde ich bis ans Ende der Zeiten meinen Himmel auf Erden zubringen. Ja, ich will meinen Himmel damit verbringen, auf Erden Gutes zu tun.

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Seither haben viele Menschen, die in ihrer Not zu Therese beteten, Hilfe erfahren. Unheilbar Kranke wurden gesund, Sträflinge bereuten ihre Taten, und Soldaten im Ersten Weltkrieg sahen sich durch eine Klosterfrau beschützt, die ihnen an der Front erschien, und alle hatten den Eindruck, dass sie lebe und ihnen unsichtbar nahe war. Der Geistliche Rat Anton Schmid erzählt in seinem Buch Therese von Lisieux begegnen (1999; 2019 neu augelegt):

Im Jahr 1910 erschien Therese der Priorin der Karmelitinnen in Süditalien, weckte sie sanft aus dem Schlaf, ging mit ihr durch einige Gänge in das Zimmer, wo die Kasse mit einem Schuldschein von 300 Franken war und legte einen Schein von 500 Franken hinein. Auf ihre Frage hin antwortete die geheimnisvolle Schwester, die sich als Therese von Lisieux offenbarte: »Der liebe Gott bedient sich der Himmelsbewohner ebenso wie der Erdenkinder, um seinen treuen Dienern zu Hilfe zu kommen.« (…) 

Vor einigen Jahren trug es sich in Österreich in der Nähe von Wien zu, dass ein Priester mit dem Eilzug an einen Ort fahren wollte, wo er predigen musste. Als der Schaffner ihm eröffnete, dass der Zug dort nicht halte, betete er innig zur hl. Therese. Siehe da, der Zug hielt an diesem Ort! Der Bahnhofsvorsteher lief bestürzt heraus und fragte den Lokomotivführer, was passiert sei. Dieser antwortete: »Was soll ich denn machen? Ich kann sie doch nicht überfahren!« Der Bahnhofsvorsteher: »Wen überfahren?« Der Lokomotivführer: »Die Nonne, die hier auf dem Gleis stand!«

Ihr Leben

OIP.INN_0h-O5prXM8sMREXt0AHaLIThérèse Martin kam am 2. Januar 1873 in Alençon in Nordfrankreich zur Welt. Die Mutter starb früh, und der Vater zog mit seinen fünf Töchtern nach Lisieux in der Normandie, Provinz Calvados. (Gerade heute, da ich dies schreibe, kam eine Postkarte von Armando Basile aus dieser Gegend bei mir an.) Das Kind ist intelligent und gläubig. Es will unbedingt ins Kloster, ist aber erst 14 Jahre alt. Überall Ablehnung, sogar der greise Papst, den sie aufsucht, ist dagegen und sagt: Tu, was dein Bischof sagt. Doch im April 1887 tritt sie in den Karmel von Lisieux ein, wird mit 20 Jahren Novizenmeisterin und fängt 1895 an, die Geschichte einer Seele zu schreiben. Schon vorher hatte sie Blut gespuckt, sie ist verloren und stirbt am 30. September 1897. Die Mitschwestern sind ratlos, was über sie zu sagen wäre: Sie hat ja nichts Besonderes getan.

OIP.XZj9rtkNBg9EVttApmNtpwHaI8Dieser Ansicht war Therese selbst. Sie war immer bescheiden und fügsam, dabei anstellig und fleißig. Sie war so jung, also wurde sie schikaniert und ausgenutzt, doch sie hielt das aus. Dennoch hatte die Nonne Thérèse einen festen Willen: Sie wollte zu Gott; sie wollte Jesus lieben, sie wollte ihm ihr ganzes Leben aufopfern. Sie schilderte es wie eine Liebesbeziehung, und vielleicht hat niemand so radikal wie sie  ihr Ziel verfolgt, sich ausgetilgt, sich hingegeben, gelitten und gehofft und nie aufgegeben.

Als 11-jährige empfing sie einen Kuss von Jesus, und nach vielen Anfechtungen und Krisen sowie einer langen Krankheit scheint sich die Anwesenheit des Göttlichen in ihr manifestiert zu haben — wie 350 Jahre früher bei Teresa von Avila. Die christlichen Mystiker des 13. Jahrhunderts wie Suso gingen auch weit in ihrer Selbstkasteiung und Anbetung, doch ist uns diese Spielart des Heiligen fremd; bei Therese haben wir es mit einer Frau an der Schwelle der Neuzeit zu tun, die nur zu Gott kommen wollte und der es gelang.

Morgen schauen wir uns einige ihrer Gedichte an, die uns Einblick in ihr Denken geben.

Das Bild oben ist eine Figur von Therese auf dem Totenbett in der Seitenkapelle der Kirche St. Peter und Paul (11. Jahrhundert) in Ottmarsheim im Elsass, die die ich gern aufsuche.

 

 

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