Von Liebe leben

Thereses Bekenntnisse einer Seele wurden für die Veröffentlichung redigiert, und, so gibt Anton Schmid zu, habe sich »etwas Süßliches« eingeschlichen, das der kleinen Therese nicht gerecht werde. Sie hat die Liebe begriffen, und ihre Gedichte zeigen es, die sich an einen menschlichen Geliebten richten könnten — wie damals bei dem großen Sufi-Autor Ibn Arabi, dessen Liebesgedichte als erotisch missverstanden wurden.

Wählen wir drei Abschnitte aus den 15 des Gedichts Von Liebe leben.

5
ufo6Von Liebe leben —
zu geben ohne Maß und Lohn.
Ich zähle nicht, ich gebe.
Die Rechnung mag das Lieben nicht.
Zu zärtlich fließt dein Herz,
ich gab ihm alles. Wie leicht ich lauf‘,
hab ich doch nur noch eins zu eigen:
Von Liebe leben.

6
Von Liebe leben —
zurück nicht zu blicken auf die Schatten von einst;
ufo8denn Liebe vertreibt alle Furcht.
Nicht einmal Asche bleibt von meiner Schuld
aus jenem Blitz der Liebe, der alles verzehrt.
Flamme Gottes, Brand wie ein Sturm,
hier steh ich fest,
im Feuerofen singe ich,
wovon ist voll mein Herz.
Von Liebe lebe ich.

7
Von Liebe leben —
den Schatz in zerbrechlichen Gefäßen zu tragen.
Geliebter, ich bin schwach.
Ein Engel, ich? Mein Gott …
Ein Pilger eben, der Schritt schleift schwer.
Doch falle ich, bist du schon da.
So wird der Weg mir wunderbar.
Von Liebe lebe ich.

 

Ibn_Arabi_with_studentsIbn Arabi (1165-1240) war der einflussreichste islamische Mystiker (Sufi) seiner Zeit. Seine Produktivität ist legendär: 700 Werke werden ihm zugeschrieben, 150 sind ganze Bücher, von denen kaum eines in unsere Sprachen übersetzt wurde. Wir kennen jedoch den Tarjumán Al-Ashwáq, ein langes Liebesgedicht, das er 1216 komponierte. In Mekka hatte Ibn Arabi Nizam kennengelernt, ein sehr schönes und frommes Mädchen, und sie besang er … aber er besang auch den Schöpfer und unternahm es, alle seine Verse zu kommentieren: ihnen also eine religiöse Bedeutung zu geben. Geben wir einige Beispiele aus der englischen Übersetzung, die im Internet Sacred Texts Archive vorliegt. (Bild rechts: Ibn Arabi mit Schülern) 

IV
2. Und würde es ihr schaden, wenn sie mich grüßen würde? Doch schöne Frauen sind keiner Autorität unterworfen.

Der Kommentar: Gott tut nichts aus Zwang heraus; was wir von ihm erhalten, ist eine Gnade. Sie grüßt nicht, denn ihr Wort wäre dann etwas anderes als ihr innerstes Wesen; ihr pures Erscheinen ist ihr Wort und ihre Gegenwart und ihre Aufmerksamkeit, ähnlich den göttlichen Attributen.

3. Sie reisten, als die Dunkelheit der Nacht ihren Vorhang niedergelassen hatte, und ich sagte zu ihr: ›Bedaure einen leidenschaftlichen Liebhaber, der ausgestoßen ist und wie von Sinnen, …‹

In der Nacht wurden die Propheten erhöht, die Nacht legt ihren Schleier auf spirituelle Überlegungen und die Wissenschaft. Der Mann, der sich damit beschäftigt, wird in der Nacht von der göttlichen Weisheit verlassen und sucht sie vergebens.

4.
›… den das Begehren umzingelt und auf den sich schnelle Pfeile richten, wohin immer er sich wendet.‹

Die Pfeile mögen ihre Blicke sein, und man möge an den Satz denken: ›Wohin immer du dich richtest, ist Allahs Gesicht.‹

5.
Sie entblößte ihre Vorderzähne, ein Blitz zischte, und ich wusste nicht, was von den beiden das Leuchten erzeugte.

Sein Wesen wurde erleuchtet, denn Gott ist das Licht von Himmel und Erde, und man möchte ein Licht werden, möchte Seine Essenz widerspiegeln. Man weiß nicht, ob das Leuchten (der Ekstase) von einer Manifestation herkommt (den Vorderzähnen) oder der göttlichen Essenz (dem Blitz … hier der »Blitz der Liebe« bei Therese, 6 Zeile 5)

6.
Sie sagte, lass ihn mich nicht von außen suchen und lass ihn zufrieden sein, dass ich in seinem Herzen bin und er mich jede Sekunde sieht. Ist das nicht genug?

Ich bin in sein Herz gedrungen, und er sieht mich in seiner Essenz und durch diese.

Das muss die angestrebte mystische Union sein, die die beiden Theresen erlebt haben. Übernatürlich mag einem auch der Beginn einer Liebesgeschichte unter Menschen vorkommen, und auch Sexualität kann mystisch wirken, doch hängen wir in unserer Sphäre in einem Gespinst aus Täuschung, Begehrlichkeiten und Illusionen fest, weshalb innige Vereinigungen nicht lange Bestand haben.

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