Gewaltfreie Kommunikation
Im Konradsblatt, einer katholischen Zeitschrift, erzählt uns Andreas Knapp eine Geschichte über den heiligen Franz: Wie er nach Gubbio in Umbrien kommt, deren Bewohner einen Wolf fürchten; wie er ihm entgegengeht, waffenlos und barfuß, ihn segnet, worauf der Wolf innehält, näherkommt und sich schließlich zu Franz‘ Füßen legt. Sieg der Gewaltfreiheit.
Es mag eine Legende sein, und eine ähnliche Geschichte wird uns auch vom Eremiten Gallus berichtet, der freundschaftlich mit einem Bären verkehrt haben soll. Vor dem Einsiedler musste er keine Angst haben, und warum sollte er ihn angreifen? Andreas Knapp, Priester im Erzbistum Freiburg und Mitglied der Gemeinschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben in Leipzig, fährt fort:
Wenn wir in einem Konflikt nicht mit schlagkräftigen Argumenten und Seitenhieben auftreten, sondern ruhig zuhören, kann dies entwaffnend wirken. Franz von Assisi rüstet auch das Feindbild ab: Er nennt den Wolf einen »Bruder« und wünscht ihm mit seinem Segen alles Gute. Durch solches Verhalten kann Friedfertigkeit wachsen. Der Mensch muss dem Menschen kein Wolf mehr sein, kann als Schwester, als Bruder gesehen werden. Frieden wird möglich, wenn ich im anderen den Mitmenschen erkenne, der — wie ich — Hunger und Angst, aber auch die Sehnsucht nach Geborgenheit und Zärtlichkeit kennt. Es kommt darauf an, das Gute wahrzunehmen, das Gott in jeden Menschen hineingelegt hat.
Solch ein Vorgehen ist nicht Feigheit oder Zurückweichen, sondern ein rationaler Schritt. Allen geht es besser, wenn Konflikte vermieden werden. Ich hielt mich vor einem Monat zu einer Fortbildung in Freiburg auf und hatte einen charmanten, humorvollen Dozenten, der (schon vor Jahrzehnten) Kurse in gewaltfreier Kommunikation (oder Nonviolent Communication NVC) bei Marshall Rosenberg besucht und sie nie vergessen hatte. Dieser Amerikaner, 1934 in Ohio geboren und 2015 in Albuquerque gestorben, war Psychologe und Mediator. Er begab sich in Konfliktzonen und versuchte, zwischen einander bekämpfenden Gruppierungen zu vermitteln. In Palästina beschimpfte ihn einmal ein Mann als »Mörder«, erzählte er, doch er ließ sich nicht abschrecken und verwickelte den »Angreifer« in ein versöhnliches Gespräch, worauf ihn dieser zum Abendessen einlud.
Rosenberg war auch in Afrika, um verfeindete Stämme zu versöhnen. Auf der Seite des deutschen Fachverbandes Gewaltfreie Kommunikation kann man in einem kurzen Video sehen, was er über die Liebe sagt. Das ist sehr witzig. Er führte den Besuchern seiner Seminare immer wieder vor Augen, wie sie etwas bewerten und vorgefasste Meinungen ablassen, statt etwas zu sehen. Aber oft sieht man nur durch die Brille der eigenen Vorurteile, und damit sieht man nur sich selbst. Wie schnell wir doch kritisieren und verurteilen! Gerade heute häufen sich im Netz die verbalen Attacken auf Andersdenkende, und man kann nur entsetzt sein, wie massiv das vorgetragen wird. Welches Problem haben die Leute, die selbstgerecht andere abkanzeln?
Mein Dozent in Freiburg erzählte eine selbst erlebte Geschichte. Er war zu einem Seminar in Ostdeutschland, hatte gut getrunken und wollte die paar hundert Meter zu seinem Hotel gehen, als vier junge Skinheads vor ihm auftauchten. Laut hatten sie zu sich gesagt: »Den machen wir platt!« Was tun? Weglaufen half nichts, angreifen sowieso nichts, schöne Scheiße. Was tat das vermeintliche Opfer? Es schaute die Jungs an und rühmte: »He, ihr habt ja ordentliche Muskeln. Toll. Wie kriegt man sowas?« Das war irgendwie paradox, die Vier stutzten, und erst einmal war die Gefahr herausgenommen aus der Situation.
Na ja, sagte einer, ins Fitness gehen wir, und gearbeitet haben wir auch, aber jetzt sind wir arbeitslos. Weißt du, wie das ist? Ein kleines Gespräch begann, plötzlich nahmen sich die fünf als Menschen wahr, und sie waren sich nahe, und es war kein Gedanke mehr daran, den Wessie zusammenzuschlagen. Einer meinte: »Ach, lassen wir ihn laufen. Mach dich vom Acker.« Auf die Ebene der gemeinsamen gewaltfreien Kommunikation muss man kommen.
Illustration: oben links Bild wohl aus einem türkischen Film, mehr weiß ich nicht; darunter rechts: Marshall Rosenberg