Die Spiegelwelt

Vor einem Jahr herrschte glanzvolles, heißes Wetter, und ich fuhr mit dem Rad an den Flüssen Doubs, Sâone und Rhône entlang in acht Tagen ans Mittelmeer, Les-Saintes-Maries. Der stille Doubs regte sich kaum, und so konnte ich schöne Motive fotografieren, die sich im Wasser spiegelten. Das brachte mich hinterher auf eine Idee. 

Ich drehte die Fotos um und ließ nur noch das Spiegelbild stehen wie hier von einem Bauernhaus an einem Teich bei Landsberg. 

Das leicht Verzitterte in den Bildern sollte etwas Traumartiges wiedergeben. Wir wissen ja nicht genau, woran wir mit dieser Existenz sind — und ob wir nicht nach unserem Tod eine Stimme hören, die sagt: »Na also! Wieder wach? Diesmal haben wir aber länger geträumt als sonst!«

Nanci Danison hat in einem Buch Aussagen von Lawrence von Arabien (Thomas Edward Lawrence, 1888–1935) aus dem Jenseits versammelt, und er sagte: »Wenn du so auf das menschliche Leben zurückschaust, dann kommt es dir im Vergleich wie ein Comicbuch vor. Es war nicht real. Und ich war verblüfft darüber, wie irreal mir das menschliche Leben nun vorkommt …«

Hier habe ich ein Foto aus Kuba verwendet und verfremdet.

Bei einer der Eranos-Konferenzen in Ascona (Tessin), an der in den 1950-er und 1960-er Jahren bedeutende Gelehrte wie Gershom Sholem, Carl Gustav Jung und Henry Corbin teilnahmen, soll in einer Pause in der Küche der Zen-Autor Daisetz Teitaro Suzuki ein Messer ergriffen haben. Er hielt das Messer hoch und sagte: »Dieses Messer gibt es auch in der anderen Welt.« 

Dass die Objekte dieser Welt idealtypisch – also in geistiger Form — in einer anderen Dimension vorhanden seien, ist ja eine gängige Ansicht von Philosophen wie etwa Plato. Was wir sehen, wäre nur eine materielle Version. Das meint die bekannteste okkultistische Maxime »wie oben, so unten« oder die Zeile aus dem Vaterunser »Wie im Himmel, so auf Erden«.

 

Wir wissen ja nicht, wie die Dinge vor unserer Nase wirklich sind. Sie sind vielleicht auch nicht voneinander abgetrennt, wie wir meinen; wenn wir andere Sinnesorgane hätten, würden wir vielleicht nur schwingende Felder und pulsierende Energiemuster sehen. Was wir sehen, ist vielleicht nur ein Spiegel, in dem die Dinge nicht sind, der ihnen nur eine Oberfläche bietet. Die Wahrheit und die Klarheit wären in einer Dimension beheimatet, die wir noch nicht sehen können.  

 

 Im Orakel I-Ging heißt es, ihm liege »die Anschauung zugrunde, die auch im Taoteking ausgesprochen ist, dass nämlich der Wirklichkeit eine Welt der Urbilder zugrunde liegt, die in der körperlichen Welt ihre Nahbilder — hier die wirklichen Dinge — haben. Die Welt der Urbilder ist der Himmel, die Welt der Nachbilder die Erde, dort  die Kraft, hier der Stoff, dort das Schöpferische, hier das Empfangende. Aber es ist derselbe SINN, der sich sowohl im Schöpferischen als auch im Empfangenden auswirkt.« (Da Dschuan / Die große Abhandlung, Kapitel V, § 7)   

 

 

Ein Kommentar zu “Die Spiegelwelt”

  1. Regina

    ja , sehr schön. Ich las einmal, weiß leider nicht mehr wo:
    Hab einen Herzschlag lang das Licht gesehen, den Urgrund allen Werdens, jeder Gärung woraus du dir die Schöpfung formen kannst und deinen Himmel in dir und auch die Verklärung mit der du Rausch und Nacht und Lieb und Leben bannst. Gruß, Regina