Freudige Erwartung

Übers Warten haben wir sicher schon einmal geschrieben, sogar im Buch Fomo, aber nun ist Advent, da wird intensiv gewartet, und wenn nicht auf die Ankunft Christi, so doch aufs Christkind (die Bescherung) und besseres Wetter. Da hat manipogo ein paar gute Quellen aufgetrieben, um die Wartezeit etwas zu versüßen. Das »Meßbuch der heiligen Kirche«, im Volksmund der Schott, befleißigte sich 1938, als meine Ausgabe gedruckt wurde, eines Stils, der uns heute bedeutend und zähflüssig vorkommt. So dachte man damals:

Der Geist der heilgen Adventszeit ist ein dreifacher: zunächst ein inniges Sehnen nach der Ankunft Christi, des Erlösers, hervorgehend aus dem Bewusstsein und aus dem lebendigen Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit. … Die Adventszeit ist sodann der Geist der Buße, verkündet und im eigenen Wesen und Leben dargestellt von Johannes dem Täufer: »Tuet Buße, denn das Himmelreich ist nahe.« … Endlich ist der Geist der Adventszeit innigste Geistes- und Seelengemeinschaft mit Maria.

Im Gotteslob, dem katholischen Gebet- und Gesangbuch, klingt das 1975 nüchterner:

In diesen Wochen soll sich die Gmeinde vorbereiten auf die beiden weihnachtlichen Hochfeste, an denen das erste Kommen des Gottessohnes zu uns Menschen gefeiert wird. Dadurch wird unsere Erwartung auch hingelenkt auf die zweite Ankunft (lateinisch: adventus) Christi am Ende der Tage. Unter beiden Gesichtspunkten ist der Advent geprägt von hingebender und freudiger Erwartung.

Wieder 30 Jahre weiter steht im Sonderband 2005 Möge der Stern für dich leuchten vom Herder-Verlag in Freiburg das Gedicht Keiner wartet vergebens von Maria Otto:

Und ich sage dir: Warten liegt mir nicht.
Wartezimmer sind mir verhasst,
ich warte nicht gern auf den Zug,
warte nicht gern mit Urteilen,
warte nicht gern auf den rechten Moment zum Handeln.
Ganz einfach: Ich habe keine Zeit.
Alles ist so eingerichtet,
das Warten zu vermeiden:
die Selbstbedienung, die Automaten,
der Telefonanruf, E-Mail und Internet,
die Passfotos zum Mitnehmen,
Telex und Handrechner.
Ich habe es nicht nötig, auf Nachrichten zu warten,
sie kommen mir zuvor.

Doch du, Gott, machst aus dem Warten
den Raum der Umkehr,
das Anschaun im Verborgenen,
die Wachsamkeit der innersten Sehnsucht.
Denn nur die Erwartung macht gewärtig,
nur sie ist fähig der Liebe.

Drum ist schon alles gegeben
im Advent,
in der dunklen Zeit.
Keiner wartet vergebens.

In dem Roman Schoscha von Isaac Bashevis Singer, der uns gestern entgegentrat und der uns an Weihnachten noch einmal beschäftigen wird, denkt der Erzähler (im Warschau des Jahres 1940; so kommen wir wieder zurück zum Schott und gleichzeitig nach vorne zum Gotteslob, denn Singer hat Schoscha erst 1974 veröffentlicht):

Der Roman über Sabbatai Zevi beschrieb mit vielen Einzelheiten die jüdische Sehnsucht nach Erlösung. Es war eine Zeit, die Ähnlichkeiten mit der unseren zeigte. … Vom Tage an, an dem sie aus ihrem Land vertrieben worden waren, lebten die Juden in Erwartung des Todes oder des Erscheinens des Messias.

Mit dem Warten lässt Singer das Buch auch enden. Chaiml sagt (1953 in den USA):

»Nachts liege ich da, ein kleiner Mann, eine halbzerquetschte Fliege, und ich speche mit den Toten, mit den Lebenden, mit Gott — wenn es ihn gibt — und mit Satan, den es bestimmt gibt. Ich frage sie: ›Warum musste all das geschehen?‹, und ich warte auf eine Antwort. Was glauben Sie, Tsutsik, gibt es irgendwo eine Antwort oder nicht?«
»Nein, es gibt keine Antwort.«
»Warum nicht?«
»Es kann keine Antwort auf das Leiden geben — nicht für den Leidenden.«
»Wenn es so ist, worauf warte ich dann?«
Genia öffnete die Tür. »Warum sitzt ihr beiden denn im Dunkeln?«
Chaiml lachte: »Wir warten auf eine Antwort.«

Das ist die letzte Zeile des Romans.

 

 

 

 

 

 

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