Zahlen und Figuren

Unerträglich, diese Fernseh-Morgenmagazine mit ihren Moderatoren und ihrer aufgesetzten Munterkeit! Und das Kontrastprogramm sind die Zeitungen mit ihrer technokratischen Sprache, mit ihrer Kälte des Faktischen, und viele Zahlen und Figuren bieten sie auf, die uns von etwas überzeugen sollen …

Helmut Gebelein zitiert in seinem Alchemie-Buch einen Auszug des Gedichts Mondsand von Hans Arp (1886-1966), der 1916 in Zürich den Dadaismus mit begründete. Es passt recht gut auf unsere Zeit.

service-pnp-highsm-60200-60297rTag und Nacht hörten sie nur Zahlen,
hörten sie nur um sich zählen.
15, 700, 4000, 1, 1, 5681, 15, 7, 1, 2, 3 …
Sie sahen vor Zahlen und Zählen
den Mond nicht mehr
und konnten nicht mehr träumen.
Sie lebten fortan in völliger Traumlosigkeit,
hüteten aber ehrfurchtsvoll
ihr Silber in Käfigen aus totem Gold.
Sie stierten es an
und entsannen sich nie mehr,
dass es lebendes Mondsilber war.

(Das Bild rechts zeigt ein Haus bei Detroit, Michigan, das Tyree Guyton mit Zahlen bemalt hat.Foto von Carol M. Highsmith.)

Oder auch Novalis:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
mehr als die Tiefgelehrten wissen
Wenn sich die Welt ins freye Leben
und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
erkennt die wahren Weltgeschichten
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Daten und Zahlenkolonnen schieben sich vor alles, was sich bewegt. Was in Zahlen gegossen wurde, ist tot. Zahlen sind nur noch Diskussionsmaterial und werden mit Hilfe von anderen leeren Wörtern aufbereitet (in der Politik, in Fernsehdiskussionen). Die Medien knallen den Leuten absolute Zahlen hin, ohne sie in einen Kontext zu stellen und basteln Grafiken, die deutlich herausstellen, was sie zeigen wollen. Sie wollen durch große Zahlen immer nur beeindrucken. Sie schreiben: »56 Prozent der Deutschen glauben …«, ohne zu erwähnen, wieviele in der Studie gefragt wurden (über 3000 Teilnehmer braucht man schon, um sagen zu dürfen »die Deutschen«).

Eine Frau sagte im Radio, sie habe vergangenenes Jahr 260 Bücher gelesen, vor allem Fantasy. Eine andere Frau hat 150 Länder bereist. Armando will 1,5 Millionen Kilometer hinter sich haben. Alles schiere Oberfläche. Quantität soll beeindrucken und verkleidet sich als Qualität.

Wir wissen, dass Zahlen immer heilig waren. Die Eins war das Größte, die Drei galt viel (als Ausdruck der Trinität), vier ist perfekt (die Jahreszeiten, die Wochen im Monat, die Trinität plus Maria), sieben ist bedeutend (die sieben Planeten, mehr kannte man früher nicht, die sieben Tage der Woche und mehr), die Zehn ist hoch angesehen; im Orient hatte die Zahl 19 eine Bedeutung, und mir bedeutet 22 viel. Über Numerologie könnten wir viel schreiben, wir begnügen uns aber mit dem, was eine Hexe aus einem Buch deklamiert (es ist aus der Szene Hexenküche in Goethes Faust, und das Bild zeigt die Zahlen, die Robert Indiana 2018 in einem Park bei Buffalo aufbaute – Bild wieder von Carol M. Highsmith, Dank an die Library of Congress, Wash. D. C.):

service-pnp-highsm-52700-52766_150pxDu musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht.
So ist’s vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!

 

 

 

 

 

 

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