Die Temporäre Autonome Zone (TAZ)

Hakim Bey habe ich schon in den Anfängen des Internets gelesen, zur Jahrtausendwende, auf meinem Monitor in Rom. Faszinierend. Er heißt eigentlich Peter Lamborn Wilson, ist 1945 geboren und ein waschechter New Yorker … aber überzeugter Chaot und Anarchist, und ein Mystiker noch dazu, ein Sufi. Genau eine Mischung, die für Unterhaltumng und gute Laune sorgt, heute am Rosenmontag. 

hqdefaultDas ist Unterhaltung auf hohem Niveau, ein poetischer Erguss mit programmatischem Hintergrund, und wenn Hakim Bey in die Tasten greift, dampft die Luft: Das ist die Form, die zum Inhalt passt, denn wer Veränderung will und ein Aufbrechen der alten Formen, der darf dies nicht mit klugen, langschweifigen Sätzen tun. Bekannt wurde unser Autor schon Mitte der 1980-er Jahre, als er die Temporäre Autonome Zone (TAZ) vorstellte,  in der gesellschaftliche Regeln und Machtverhältnisse außer Kraft gesetzt sind oder absichtlich missachtet werden: genau wie im Fasching. Die Fasnacht ist institutionalisiert und sanktioniert. Hakim Bey aber will Karneval, wenn er Lust dazu hat: um alte Muster aufzubrechen und Veränderung zu schaffen. Jorge Sempruns Z.U.P. stammt ja auch aus den 1980-er Jahren.

Der alte Sufi hat noch mehr griffige Parolen im Köcher, etwa den ontologischen Anarchismus, den poetischen Terrorismus und den Kampf gegen die Cop-Kultur, aber dazu kommen wir noch. (Bild links: Bei einer Diskussion vor 4 Jahren) Erst einmal eine Kostprobe, eine geraffte Version seines 1991 erschienenen Buches (deutsch 1994), das ihn einflussreich werden ließ. Hakim Bey war der Vordenker der Rave-Kultur und der Tattoo-Bewegung.

DAS CHAOS IST NICHT TOT. Der ursprüngliche unbearbeitete Block, das einzige anbetungswürdige Monster, reglos & spontan, ultravioletter als jede andere Mythologie (wie die Schatten vor Babylon), die originale undifferenzierte Einheit-alles-Seins strahlt immer noch ernst wie die schwarzen Wimpel der Assassinen, zufällig & dauerhaft vergiftet.

rolf9Chaos kommt vor allen Prinzipien der Ordnung & Entropie, es ist weder ein Gott noch eine Laune, seine idiotischen Begehrlichkeiten umfassen & definieren jede mögliche Choreografie, alle bedeutungslosen Äther & Phlogistone: Seine Masken sind Kristallisationen seiner eigenen Gesichtslogigkeit, wie Wolken. (…)

Hör zu, was passiert ist, war das: Sie haben dich belogen, dir ihre Ideen von Gut & Böse verkauft, dir Misstrauen gegenüber deinem Körper & Scham für deine Prophetenschaft des Chaos eingeflößt, hässliche Wörter für deine molekulare Liebe erfunden, dich durch Nichtachtung hypnotisiert, dich mit der Zivilisation & all ihren heuchlerischen Gefühlen gelangweilt.

Es gibt kein Werden, keine Revolution, keinen Kampf, keinen Weg; schon jetzt bist du die Königin deiner eigenen Haut — deine unverletzliche Freiheit will nur noch durch deine Liebe zu anderen Königen erfüllt werden: eine Politik des Traums, so wichtig wie das Blau des Himmels.

Amour fou/Pornografie

DSCN4748Nach dem Chaos kommt Eros — das Pinzip der Ordnung, implizit im Nichts des unbewertbaren Eins. Liebe ist Struktur, System: der einzige Code, der nicht von Sklaverei & Beruhigungsmittel eingefärbt wird. (…) Überlebe nicht nur, während du auf die Revolution von irgendjemandem wartest, die dir den Kopf freimachen soll, verschreib dich nicht den Armeen von Anorexie & Bulimie — handle, als wärst du schon frei, rechne es durch, und dann geh raus … tanze, bevor du verkalkst. …

Wir lehnen jede Zusammenarbeit mit Leuten ab, die … ohne Mitgefühl etwas hinunterschlingen & dann das Erbrochene von sich schleudern in masochistischen Anfällen wie Diäthalten und Joggen und Walken. Alle unsere Vergnügungen & Selbst-Disziplinen gehören uns von Natur an — wir verweigern uns nie, wir geben nie etwas auf; aber manche Dinge müssen uns aufgeben & uns verlassen, weil wir zu groß für sie sind.

Das nächste trifft uns. Seit zwei Jahrzehnten beherrscht der Cop (der Kommissar) die deutsche Fernsehszene, noch vor dem Kicker und den »Talking Heads« der Talkshows. Da geht es brutal zu, in den Geschichten der Cops. Diese Gesellschaft liebt das Verbrechen und das Böse, sie ist latent aggressiv und repressiv, und die zwei Jahre Corona ließen diesen Grundzug deutlich hervortreten.

Die Cop-Kultur

Wenn eine Gestalt der Fiktion die achtziger Jahre beherrscht hat, dann war es der Cop. Bullen überall, wohin du schaust, schlimmer als im wirklichen Leben. Wie öde! Selbstbewusste Cops beschützen die Schwachen und die Bescheidenen, indem sie regelmäßig ein halbes Dutzend Artikel der Verfassung übertreten. Nette menschliche Cops, die sich mit menschlichen Perversitäten auseinandersetzen, gut und schlecht gelaunt sind, mürrisch, aber mit weichem Kern.  

service-pnp-cph-3c30000-3c31000-3c31100-3c31150_150pxVon Anfang an waren wir besessen von den Cops. Der Tramp, das Opfer mit der plötzlich auftretenden Kraft des reinen Herzens, hat im Zentrum des Geschehens keinen Platz mehr. Einst waren wir der Hobo, der quasi-surrealistische chaotische Held … Doch jetzt sind wir auf den Status von Opfern ohne Macht reduziert oder auf den Kriminellen. Wir nehmen nicht mehr die Hauptrolle ein, wir sind an den Rand gedrückt & ersetzt worden durch den Cop (den Kommissar). Die Cop Show hat nur drei zentrale Charaktere: Opfer, Krimineller und Polizist. Schon seltsam, dass die Gesellschaft der 1980-er Jahre aus denselben drei Archetypen zu bestehen schien.

Noch einmal TAZ

Vital für die Realität der TAZ ist das Konzept des psychischen Nomadentums (oder, wie wir es im Spaß nennen, »entwurzelter Kosmopolitismus«).

Stephen Pearl Andrews bot einmal als Bild der anarchistischen Gesellschaft die Dinner-Party an, in der alle autoritären Strukturen sich in Lebensgenuss und dem Feiern auflösen. … Die alten Konzepte des Jubiläums oder der Saturnalien gehen auf die Intuition zurück, dass gewisse Ereignisse außerhalb der Reichweite der »profanen Zeit« liegen, der Messlatte von Staat und Geschichte.  (…)

hamburg1989Die TAZ ist utopisch in dem Sinn, dass sie ein Intensifizierung des Alltags anstrebt oder, wie es die Surrealisten formuliert hätten, eine Durchdringung des Lebens durch das Wundersame. Doch es kann nicht utopisch sein in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als Nichtort-Ort. Die TAZ ist irgendwo. Sie liegt an der Schnittstelle vieler Kräfte wie manche Kraftzentren früher Gesellschaften an dem Zusammenlaufen mysteriöser Leitadern, sichtbar für den Adepten auch in unzusammenhängenden Zonen des Landes, in der Bewegung der Luft, im Wasser, in den Tieren … Das Kräftemuster, das die TAZ ins Leben ruft, hat etwas gemeinsam mit dem »Seltsamen Attraktor« der Chaostheorie, der sozusagen zwischen den Dimensionen seine Wirkung tut. 

Ja, schön, dass er auf die Chaostheorie zu sprechen kommt, die erst in den 1970-er Jahren bekannt wurde. Sie und die Quantentheorie der 1920-er Jahre hätten die Gesellschaft umgestalten müssen, wenn Wissenschaft wirklich einen Sinn hätte. Doch selbst die größten Denker hatten nicht den Mut, bis zum Ende zu gehen, und die anderen wollten viel Geld und wieder andere die Macht, und wir, wir schauen zu, aber ein wenig stören und verwirren können wir den üblichen Gang der Dinge.

Illustrationen: ein Bild von Rolf Hannes; die Gay Pride in Zürich; ein Cop im Central Park, fotografiert von Marjorie Collins (1912-1985, Dank an Library of Congress, Wash. D. C.; der manipogo-Autor 1989 in Hamburg.

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