Feng Shui
Die chinesische Lehre Feng Shui (Wind und Wasser) will, dass der Mensch harmonisch in seiner Umgebung lebt; dass er zwischen Himmel und Erde, zwischen Grasland und See seinen optimalen Platz findet, den die Energie chi gut versorgt und die bösen Kräfte (sha) meiden. So ist ein poetisch formulierter Katalog von Anforderungen entstanden, die des Menschen Aufenthalt auf der Erde zu einem segensreichen machen sollen.
Das ideale Modell für den Sitz eines Hauses sieht vor, dass im Osten möglichst ein blauer oder grüner Drache sitzt, der sich nach Süden orientiert; dass im Westen der Weiße Tiger hockt, im Süden der Rote Vogel regiert und im Norden die Schwarze Schildkröte. Das ist schon einmal erklärungsbedürftig.
»Finde den Drachen, und du hast den Schlüssel zum Feng Shui eines Ortes«, sagte einmal der Berater Howard Choy (geboren 1949). Ein Hügel sollte sich im Osten erheben, da die gute Energie ihn hinabfließt, und im Westen sollte gewelltes Land sich erstrecken, Hügelland. Sanft dahinfließendes Wasser wäre im Süden schön. Die beiden Kräfte Yin (weiblich) und Yang (männlich) sollten sich gut ausbalancieren, und der Drache mit seiner Verbindung zum Wasser wurde wohl als Vertreter von Yin gesehen. Seine Rolle war die, das Wasser, das immer gesucht wurde, zu etwas Heiligem zu machen.
Der Drache stand auch für das Frühjahr und wurde im Chinesischen mit einem Wort bezeichnet, das gleichzeitig grün und blau bedeutet: vermutlich ts’ing, ein Ton von Indigo oder Blaugrün. Farben besitzen einen affektiven Wert und sind sich in einem Kontext von Zeit, Raum und Elementen zu denken, meinte ein Autor, und eine Kollegin (Maria Fernanda Ferrini) sah sie in einem »Netz von affektiven Werten, Gefühlen und symbolischen Elementen«.
Der Himmel war den alten Chinesen nicht blau, und das Meer auch nicht. Im Alten Testament gibt es nichts Blaues, und Homer, der 800 vor Christus schrieb, nannte das Meer »weinfarben«, die Wellen »purpurn« und den Himmel »kupfern«. Erst ab dem 12. Jahrhundert löste sich in Europa das Blau vom Grün und wurde positiv geschildert, und ab dem 19. Jahrhundert wurde für uns das Meer zu einem Sinnbild der Sehnsucht und des Urlaubs. Vorher war es bedrohlich und unheimlich. Das Problem des »anderen Farbensehens« hat Adeline Grand-Clément in einem Aufsatz (»Das purpurfarbene Meer …«) ganz ausführlich geschildert, der in der Zeitschrift trivium 2017 erschien. Das Farbensehen hat kulturellen Hintergrund und unterscheidet sich auch bei Individuen. Vergangenen Freitag wollte ich bei Inge meine Stadionjacke abholen, die in der Reinigung gewesen war, und ich bat um die »grüne Jacke«. Sie erwiderte: »Die ist doch blau!« Ich meine, sie sei irgendwie blaugrün, also ts’ing.
In China ist alles gut und verständlich geordnet: Norden ist Wasser, die Nieren und die Farbe schwarz; der Süden bedeutet Feuer, das Herz und Rot; Westen: Metall, die Lungen, weiß; Osten: Holz, die Leber, blau/grün. Vor ein paar Jahren habe ich mein Zimmer danach ausgerichtet: viel Blau im Osten, Rotes im Süden, wo zufällig auch die Mini-Küche liegt; weiß ist der Westen und leicht schwarz der Norden. Und ich schlafe mit dem Kopf nach Osten; andere Richtungen erwiesen sich nicht als gut. Vor einiger Zeit habe ich auch in die Küche Pflanzen gestellt, da der Küchengott das angeblich mag.
Doch damit reicht es auch. Die Feng-Shui-Anweisungen sind nicht verwunderlich und entsprechen dem gesunden Menschenverstand. Es soll in der Wohnung angenehm sich aufzuhalten sein, Platz soll es geben und keine Stapel von Gerümpel. Die Energie soll schön fließen können. Ein Spiegel gegenüber des Eingangs, um böse Geister abzuschrecken; ein Aquarium im Innern, das bringt Wohlstand.
In einem Gedicht las ich: »Lasst gute Geister um mich sein.« Die guten Geister und die Engel kommen auch in vermüllte, stickige Wohnungen, und auch ins Gefängnis und in Fabrikhallen und Büros kommen sie. Ein guter Mensch mit klarem Sinn sein, das ist besser als bestes Feng Shui.
Illustrationen: Ryū Shōten (Drache erhebt sich zum Himmel; der Berg ist der Fuji) von Ogata Gekko (1859-1920), Library of Congress, Wash. D. C.; in der Karibik.