Vergebung zwischen den Welten

Laura Lynne Jackson ist heute ein bekanntes US-Medium. In ihrem 2015 erschienenen Buch The Light Between Us erinnert sie sich an ihre Anfänge, und ihr Verlag (Random House) hat einen Auszug daraus veröffentlicht: Wie Laura Lynne mit Tony konfrontiert wird, der glaubt, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Medien, Jenseits … für ihn war das totaler Quatsch.

laura-lynne-jackson-surviving-death-1-1611193208255Als ich meine ersten Lesungen zu veranstalten begann, verstand ich eigentlich nicht richtig, was eine Lesung war. Ich wusste, dass ich die Energie einer Person erspüren und lesen konnte, und ich wusste, dass mir das ein paar Informationen über den Lebensweg dieser Person und ihre Motivation geben würde. Schließlich erkannte ich, dass ich auch Zugang zu Leuten bekommen konnte, die in die Andere Welt hinübergegangen waren. Ich konnte ein Zwischenglied sein für Menschen auf der Erde und jene, die uns verlassen hatten. Ich hatte gelernt, dass meine Verantwortung darin lag, alles, was durchkam, richtig zu interpretieren, als eine Art Übersetzerin. Zunächst war es schwierig: als würdest du eine Fremdsprache erlernen. Doch mit der Zeit wurde ich besser. Ich verstand allmählich, was gewisse Symbole bedeuteten. Es war, als würde ich Pantomime in Worte bringen müssen, und ich kriegte es gut hin.

Eine meiner frühesten Lesungen lehrte mich viel über die Macht der Vergebung. Barb, eine Frau Mitte fünfzig, hatte durch einen Freund von mir gehört. Barb rief mich aus ihrer Küche in Pennsylvania an, und während der Lesung hörte ich, wie sie einiges, was ich ihr sagte, an ihren Mann Tony weitergab, der neben ihr stand. 

»Er glaubt überhaupt nichts davon«, sagte mir Barb. »Er denkt, dass es das war, wenn du gestorben bist — du tauchst ab und bist weg. Aber trotzdem möchte ich, dass Sie mit ihm reden.« Noch bevor ich etwas einwenden konnte, reichte sie Tony den Hörer.

Na toll, dachte ich. Wie das wohl gehen wird? Wird die Andere Seite einem Skeptiker etwas sagen wollen? Tony schenkte mir ein mürrisches ›Hello‹, was seine Art war, mir zu übermitteln, dass er mit all dem nichts zu tun haben wollte. Ich atmete tief durch und wartete, dass jemand für ihn durchkommen würde. Und dann kam jemand — sein Vater.  

Er sagte mir, er heiße Robert und habe eine dringende Botschaft für seinen Sohn.

»Ihr Vater ist hier, und er möchte Ihnen etwas sehr Wichtiges sagen«, gab ich an Tony weiter. »Und es ist wirklich wichtig, dass ich das gut hinkriege und das auf die richtige Weise ausdrücke. Ihr Vater will, dass ich Ihnen sage, dass ihm das mit dem Gürtel leid tut.«

Tony sagte nichts darauf. Ich machte weiter.

»Ihr Vater will, dass Sie wissen, dass er verstanden hat, was Sie wollten, als er zur Anderen Seite hinüberging und seinen Lebensrückblick hatte, und es tut ihm sehr leid, was er mit dem Gürtel getan hat.«

Ich hörte Tony leise weinen.

Sein Vater zeigte mir mehr. Er zeigte mir ein Ereignis in der Form eines »Kurzfilms« (movie clip) in meinem Kopf. Ich sah den kleinen Tony auf seinem Bett sitzen, während die Tür zu seinem Schlafzimmer geschlossen war. Ich sah ihn einen Gürtel halten, und ich wusste, dass ihm der Gürtel viel bedeutete. Ich erzählte Tony von diesen Bildern, worauf er sich erholte und mir die Geschichte anvertraute, die er bislang geheimgehalten hatte. Als Tony sieben war, ging er in einer kalten Dezembernacht zu einem Treffen der Pfadfinder, wo er einen Bausatz bekam, mit dem er selbst einen Gürtel herstellen konnte. Er war aufgeregt, denn er hatte den Einfall, seinem Dad einen Gürtel für Weihnachten zu basteln. 

Bei dem Treffen fing er schon mit der Arbeit an, gravierte er Bilder in das Leder, grub Löcher und befestigte den Verschluss. Dann brachte er ihn versteckt in seiner Manteltasche nach Hause, damit er ihn dort fertigmachen könne. Er ging gleich in sein Schlafzimmer und an die Arbeit. In seiner Aufregung vergaß Tony, den Müll hinauszubringen, was seine Aufgabe jeden Abend war. Es zu vergessen, war nicht das erste Mal, und dann wurde sein Vater ziemlich wütend, aber an jenem Abend wurde es schlimm: Tonys Dad stürmte in dessen Schlafzimmer und riss zornig die Tür auf.

Dann sah er den Gürtel. Er ergriff ihn und schkug seinen Sohn damit. Die Schläge waren rasch vorüber, nach wenigen Sekunden, doch sie verletzten etwas Heiliges zwischen Tony und seinem Dad.

»Den Gürtel habe ich ihm nie gegeben«, sagte Tony. »Ich habe ihm nie davon erzählt. Niemandem habe ich davon erzählt. Aber es hat mich all die Jahre traurig gemacht. Ich dachte immer, ich hätte ihn irgendwie enttäuscht.«

Tonys Vater kam wieder durch.

»Nein!« sagte ich Tony. »Ihr Vater sagt, ich solle Ihnen sagen, dass er es war, der Sie enttäuscht hat. Er sagt, er habe die Situation damals einfach nicht verstanden. Aber jetzt versteht er sie.Und er sagt, dass es ihm so leid tut. Er will, dass Sie wissen, wie sehr er Sie liebt und dass Sie immer ein wunderbarer Sohn gewesen sind.«

Ich kämpfte mit den Tränen — doch nicht wegen dieser traurigen Geschichte. Ich hatte gesehen, dass ein schönes Licht zwischen Tony und seinem Dad hin-und herging. Tony hatte an dieser Verletzung sein ganzes Leben lang getragen, und nun fühlte ich, dass er sie loslassen konnte. Ich war Zeugin einer großartigen Heilung zwischen einem Vater und seinem Sohn — nachdem der Vater gestorben war.

»Es ist schon in Ordnung, Dad!« sagte er, und seine Stimme war heiser durch die starke Emotion. »Es ist okay. Bitte sagen Sie meinem Vater, dass es okay ist.«

»Sie brauchen mich dazu nicht«, sagte ich. »Sie können es ihm selber sagen. Er ist die ganze Zeit bei Ihnen. Er ist immer da, wo Sie sind. Sagen Sie einfach, was Sie ihm sagen müssen. Er kann Sie hören.«

Tony gab seiner Frau das Telefon zurück. Ich konnte ihn im Hintergrund hören.

»Es ist okay, Dad,” sagte Tony immer wieder. »Es ist okay, es ist okay, es ist okay.«

 

 

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