Erfülltes Leben

Wollte man alle Verstöße gegen Grammatik und Rechtschreibung registrieren und korrigieren, hätte man genug zu tun. Schon die Überschriften der hiesigen Tageszeitung sind äußerst fragwürdig; dabei sollten Journalisten doch exakt mit der Sprache umgehen! Dass die Schreibenden nicht noch jemanden auf ihren Text schauen lassen, bevor sie ihn in Druck geben!

Mein Blick fiel an einem Tag Ende Februar auf die Seite mit den Todesanzeigen. Da wurde eine Frau gewürdigt, die mit 86 Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, und man las:

Nach einem erfüllten Leben nehmen wir Abschied von unserer lieben Mutter, Schwiegermutter und Oma …

Warum nehmen sie Abschied? Was machen denn diese Leute, weil sie Abschied von ihrer Mutter nehmen müssen? Wandern sie nach ihrem »erfüllten Leben« aus nach Australien? Machen sie eine dreijährige Weltreise? Lassen sie darum die Mutti im Stich? Es ist klar, dass sich hier das erfüllte Leben auf das »wir« bezieht. Wir könnten auch schreiben:

Nach einem erfüllten Urlaub kehren wir an unseren Arbeitsplatz zurück.

Richtig ist das in der Anzeige nebenan formuliert:

Unsere geliebte Mutter, Schwiegermutter, Oma und Schwester ist nach einem erfüllten Leben friedvoll in eine neue Heimat entschlafen.

Das geht so, auch wenn man sich fragt, ob das entschlafen wirklich ein Objekt verträgt. Entschlafen und fertig. Ich kann in den neuen Tag hineinschlafen, aber in ein neues Leben entschlafen? Doch das können wir stehenlassen. In der Todesanzeige über den Leuten mit ihrem erfüllten Leben steht nach dem Namen des Verblichenen:

Behaltet mich alle so in Erinnerung, wie ich in den schönsten Stunden mit Euch beisammen war. Du und Dein Lächeln werden uns fehlen.

Die beiden Sätze sind aneinandergefügt, doch die Perspektive ändert sich. Erst spricht der Verstorbene (symbolisch) selbst, dann sprechen die Angehörigen und Freunde. Das hätte man besser mit einem Gedankenstrich auseinandergehalten.

Dann spricht der Stänkerer wieder: Man weiß ja, wie es gemeint war. Mag sein; aber wenn ich jedes Mal rätseln muss, wie etwas gemeint war, wird die schriftliche Kommunikation, die schon schwierig genug ist, zu einem richtigen Rätselspiel. Missverständnissen ist dann Tür und Tor geöffnet. Die deutsche Sprache ist schwierig, aber so wunderbar präzise, viel mehr als das Italienische, Englische und Russische. Schade, dass die meisten Deutschen sie so achtlos und fast verächtlich benutzen.

 

 

 

 

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