Berta, Gertrud, Hedwig

Der Titel nennt die drei wichtigsten Frauen, die in Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell (1804) vorkommen — und die ihren Männern gehörig einheizen. Im vergangenen Jahr war dies (wie heute, am Schweizer Nationalfeiertag) bereits angedeutet worden, doch habe ich mich seither viel mit dem Theaterstück beschäftigt und bezeichnende Dialoge gesehen und herausgeholt. 

Gertrud sieht ihren Mann Werner Stauffacher sinnend auf seiner Bank sitzen. Sie bittet ihn, sich zu offenbaren und überredet ihn schließlich, Freunde in Uri aufzusuchen und eine gemeinsame Aktion zu starten. Das habe ich am 1. August 2021 zitiert; ohne Gertrud, legt uns Schiller nahe, hätte Stauffacher weiter gegrübelt und wäre tatenlos geblieben.

Das Stück ist zwar Erfindung, vergessen wir das nicht, doch sagt es einiges aus über die Bedeutung, die ein prominenter Vertreter der deutschen Literatur den Frauen zuschrieb. Der Beginn des 19. Jahrhunderts war eine glückliche Periode für die Literatur in Deutschland, an der Frauen wie Caroline von Günderode, Dorothea Schlegel und Rahel Varnhagen ihren Anteil hatten.

tell_presse4-710x460-60-29-q80Hedwig, die Frau von Wilhelm Tell, hat mit ihrem Recken weniger Glück als Gertrud. Tell bringt den Söhnen das Schießen bei,. und Hedwig stöhnt: »Ach wollte Gott, sie lernten’s nie!« Dann klagt sie, als er loswill:

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt.«

Dann schildert sie ihrem Mann, dass sie seinen Tod fürchtet, ihn sieht »in hundert wechselnden Gestalten« und fragt ihn, wo er hingehe und dringt in ihn:

Sinnst du auch nichts Gefährliches? Gesteh mir’s.
Tell: Wie kommst du darauf, Frau?

Wilhelm-Tell-Wilhelm-Tell-Schiller-Galerie-334-240x300Ach, das Unschuldslamm. Der Tell sollte keine Familie haben. Er ist eigentlich ein Einzelgänger und ein sturer Bock. Auf mahnende Worte reagiert er immer (wie in einem Gespräch mit Stauffacher) mit einem knackigen Spruch, der den anderen entwaffnen soll. Hedwig bittet, er möge nicht nach Altdorf gehen, sondern lieber jagen. Zwei Mal bittet sie ihn. Der Tell aber geht, er hat’s angeblich versprochen. Gegen diesen störrischen Schweizer ist nichts zu machen. Den Sohn Walter solle er hierlassen, aber klar, dass der »Wälti« selber mit dem Vater mitwill: Ein Abenteer winkt! Schließlich bleibt bei der armen Hedwig nur der kleine Wilhelm, der zweite Sohn.

cd2e2de66b8b472e4640d08dd319b51a8464In dem Theaterstück handelt der Tell eigentlich den Interessen der Eidgenossen zuwider. In Altdorf ignoriert er, der alte Rebell, die Fahne, die er grüßen soll und provoziert damit den Landvogt, der ihn zum Apfelschuss zwingt. Das Attentat auf diesen in der hohlen Gasse Richtung Küsnacht war auch nicht abgesprochen. Beide Aktionen gehen gut (für Tell) aus und haben das Stück erst bekannt gemacht, denn das war die action, die Theaterbesucher lieben! (Rechts ein sarkastische Abbildung aus dem Netz: Wilhelm Tells unbekannte Tochter)  Doch wir müssen festhalten, dass Tell gegen die Prinzipien der Verbündeten verstieß, die Stauffacher so formulierte:

Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,
Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.

R.dfeaee2d94199e3a9d64c0bf47c7dd85Am Ende wird der Anti-Held Tell zum Helden. Das Stück beenden jedoch Berta und Rudenz. Sie, die reiche Schweizer Frau, verspricht sich ihm, er lässt seine Knechte frei, der Freiheit gehört der Sieg. Auch Berta powert, um ihr Land zu befreien.

Rudenz arbeitet für die feindlichen Österreicher. Er habe sein Wort gegeben, erklärt er seinem todkranken Oheim. Als er (im 2. Aufzug des 3. Aktes) mit Berta allein ist, die er liebt, kommt es zum Wortwechsel. Rudenz beginnt seine Liebeserklärung äußerst ungeschickt: Er sagt, sie solle nicht so böse dreinschauen; er sei zwar noch nicht berühmt und kein glänzender Ritter: »Nichts hab ich als mein Herz voll Treu und Liebe.«

Solche matten Töne lieben Frauen nicht. Nun schlägt sie erbarmungslos zurück.

Berta (ernst und streng):
Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten?
(Rudenz tritt zurück)
Der Sklave Österreichs, der sich dem Fremdling
Verkauft, dem Unterdrücker seines Volks?

Der Angriff zeigt Wirkung. Rudenz ist beschämt, zumal sie noch eins drauflegt und behauptet, lieber noch heirate sie den bösen Gessler als einen treulosen Verräter … Sie pokert hoch und macht weiter, nennt ihn ein weiteres Mal treulos und faucht:

Ihr seid’s, der mich verletzt und kränkt; ich muss
Mein Herz bezwingen, dass ich Euch nicht hasse.

Das ist stark. Ein anderer Mann hätte nun vielleicht kehrt gemacht und wäre weggeritten, aber Rudenz ist kein Harter, außerdem liebt er. Er ist bestürzt. Sie verachtet ihn! Sie stürzt ihn in den Abgrund! Und dann sagt Berta, worum es geht:

Nein, nein, das Edle ist nicht ganz erstickt
in Euch! Es schlummert nur, ich will es wecken;
Ihr müsst Gewalt ausüben an Euch selbst,
Die angestammte Tugend zu ertöten,
Doch wohl Euch, sie ist mächtiger als Ihr,
Und trotz Euch selber seid Ihr gut und edel!
(…) Seid,
Wozu die herrliche Natur Euch macht!
Erfüllt den Platz, wohin sie Euch gestellt, 
Zu Eurem Volke steht und Eurem Lande
Und kämpft für Euer heilig Recht.

Daraus erklingt der alte Hindu-Spruch Sei, der Du bist! Rudenz ist geschlagen. Er will Berta ja erringen und wird umdenken. Das ist die alte Geschichte von der so schwierigen, aber auch so nötigen Erleuchtung, Erweckung, Selbsterkenntnis, die in Pausen des Lebens eintreten kann oder durch einen Schock: wie bei Rudenz. — Das ist nun etwas lang geworden, die Begeisterung trug mich hinweg, aber nur einmal im Jahr ist Schweizer Nationalfeiertag. Und wenn wir beklagen, dass die Schweiz erst vor 50 Jahren, 1971, das Frauenstimmrecht eingeführt hat, dann müssen wir erwähnen, dass es in Deutschland auch erst 1918 verfügt wurde. Die klugen Frauen der Goethezeit waren auch irgendwie rechtlos.

 

Illustrationen: Ganz oben und unten Bilder von neueren Aufführungen des Wilhelm Tell; das zweite Bild von oben stammt aus der Schiller-Zeit, Wilhelm Tells Tochter aus dasbeste.de. 

 

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